Shelby Lynne :: Revelation Road
Vieles ist gesagt worden zur Emanzipation der Shelby Lynne, die in Nashville ein gutes Beispiel für eine selbstbestimmte Karriere ist. I shall be Shelby: Lynne wehrt sich seit mehr als 20 Jahren meist erfolgreich gegen die Zwänge des Mainstream-Country. Ein künstlerischer Stolz, der 2010 mit der Gründung eines eigenen Labels seinen vorläufigen Höhepunkt fand.
Zwei Alben erschienen seither, eines davon für den Weihnachtsmarkt. Auf dem anderen, „Tears, Lies, And Alibis“, war jene von Songwriter-Jazz und Country-Soul durchsetzte Americana, die man von Lynne bereits kannte. Nur etwas privater, weniger formatiert vielleicht. Das neue Werk hat Lynne wieder selbst produziert und erneut zu Hause aufgenommen. Sogar fast alle Instrumente hat die Künstlerin selbst übernommen; bei einigen Songs wackelt das Schlagzeug so frank und frei um den Takt herum, dass eine hired gun wohl Einspruch erhoben und noch mal gespielt hätte. Doch Lynne ist entschlossen, ihre Lieder direkt und unverstellt zu präsentieren. Gut so! Es entstehen auf diesem Weg ja oft berührende Momente.
Und berührende Momente gibt es viele auf „Revelation Road“. Am Anfang steht der Titelsong, in dessen gedrosseltem Soul etwas Wissendes, Verschwiegenes mitschwingt. Im folgenden „I’ll Hold Your Head“ singt Lynne von Rühreisandwiches und geretteten Seelen, man sitzt mit der Sängerin auf der front porch. Bei „Lead Me Love“ werden die Akkorde jazzig und lazy, als hätte Lynne Josh Rouse in Spanien besucht. Bald folgt „The Thief“, einer der besten Songs dieses Repertoires. Dort ist der zarte Westcoast-Folk so direkt und verletzlich, dass man sich beim Zuhören fast ein wenig geniert. Und wie Lynne im Chorus ihre eigene Stimme zur vielstimmigen Eagles-Harmonie schichtet! Das geht kaum besser.
Der Stolz, die Eleganz, die starke Frau und Einzelgängerin: All das steckt in diesen persönlichen Liedern, denen man die häusliche Aufnahmesituation deutlich anhört. Insgesamt hat Lynne öfter als bislang Muscle-Shoals-Soul im Repertoire, schreibt aber auch sehr pointierte songwriter’s songs, die von keinem übervollen Arrangement ihrer Intimität beraubt werden – neben dem erwähnten „The Thief“ fällt „I Wanna Go Back“ auf, ein langsamer Schwoof und ein sehr offenherziges Bekenntnis zu inneren Widersprüchen. Vielleicht vermisst man an einigen Stellen das schöne Zusammenspiel mit beseelten Cracks wie Benmont Tench oder Michael Ward, das zum Beispiel „Suit Yourself“ von 2005 zu einem sehr guten Album machte. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Jetzt geht es um Shelby Lynne, deren wundervolle Stimme und offener Geist auf „Revelation Road“ sehr direkt zu bewundern sind. „I just wanted to do something that was so damn real“, sagt die Künstlerin. And damn real it is. (Everso/Rough Trade) Jörn Schlüter