Schimmernder Dunst über ColbyCounty :: von Leif Randt
Milchig und surreal strahlt die Sonne, der Schauplatz wirkt so vertraut wie Easyjet-Berlin oder Ibiza-Stadt, obwohl er frei erfunden ist. Und weil an der Uni „Literatur nach 1995“ unterrichtet wird, kann es sich beim zweiten Roman des 28-jährigen Frankfurters Leif Randt nur um eines dieser Science-Fiction-Bücher handeln, die aus purer Absicht in der gar nicht so fernen Zukunft spielen: in einer seltsam heilen, politisch verkehrsberuhigten Welt namens ColbyCounty, wo sich selbst Jugendliche so pudelwohl fühlen wie im Rentner-Resort. Kotzen ist die letzte rebellische Geste, „Underground“ eine Party-Reihe, und nach dem Sex wird Kuchen gegessen. Kleine Verstörungen genügen also schon, um im jungen Helden Wim, einem Literaturagenten, schlimme Ahnungen über die bevorstehende Apokalypse zu wecken. Das liest sich wie eine von Bret Easton Ellis mit „Unter Null“-Lakonismus erzählte Huxley-Vision, also ziemlich gut – auch weil dem Autor eine großartige Variante auf die für Urban-Sci-Fi wohl obligatorische Internet- und Kapitalismus-Satire gelingt. Der eben in Klagenfurt prämierte Randt zögert an der entscheidenden Stelle dann allerdings davor, konsequent in den Abgrund zu blicken. (Berlin verlag, 18,90) Euro) Joachim Hentschel
McSorley’s Wonderful Saloon ***¿
von Joseph Mitchell
Die guten Geschichten lägen auf der Straße. Man müsse sich als Reporter doch bloß bücken und sie auflesen. So sprechen Menschen, die nie vor einem leerem Monitor gesessen haben. Verzweifelt, tagelang. Der Mitbegründer des „New Journalism“, Joseph Mitchell, hatte zumindest Zeit für seine Streifzüge durch New York. Monate, manchmal gar Jahre. Endlich liegt nun der 1943 erstmals erschienene Reportagenband auf Deutsch vor, vollgepackt mit Mitchells wunderlichen, wunderbaren Fundsachen von der Straße aus seinen ersten Jahren beim „New Yorker“. Dabei waren sein Thema gar nicht die kleinen Leute, denn „sie sind so groß wie du und ich, ganz egal wer wir sein mögen“. Ab 1964 schrieb er nichts mehr. Schmerzte sein Rücken, weil er einfach selbst zu groß geworden war? Er starb 1996, und es heißt, er habe sich bis zuletzt in die Redaktion geschleppt. (Diaphanes, 22,90 Euro) Philip Haibach
Von Christian Kracht und David Woodard
Der Briefwechsel zweier Unzeitgemäßer: Zwischen 2004 und 2009 schrieben der notorische schweizerische Autor Christian Kracht und der amerikanische Künstler David Woodard einander E-Mails, in denen sie die gemeinsame Begeisterung für die von Elisabeth Nietzsche und dem Antisemiten Bernhard Förster gegründete Exklave Nueva Germania in Paraguay entdeckten, für den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il und nach diesem benannte Blumen, für Aleister Crowley, Kenneth Anger, T. S. Eliot und allerlei radical chic. Zunächst bittet Kracht den Betreiber der „Dreamachine“, einer psychedelischen Apparatur, um einen Beitrag für die Zeitschrift „Der Freund“, den Woodard für 666 (sic!) Euro zu schreiben verspricht. Dann tauschen die Gentlemen wie Privatgelehrte des 18. Jahrhunderts höfliche Episteln aus; Kracht meldet sich aus Bangkok und vom zentralen Redaktionssitz Kathmandu. Schließlich planen die schrulligen Kombattanten ein Opernhaus in Nueva Germania, natürlich unter Mitwirkung von Christoph Schlingensief. Eine aufs Schönste verblasene, altertümliche und kindlich-schwärmerische Korrespondenz (in Englisch) – der Klappentext-Autor Momus hört unterm Firnis „slightly sinister music playing“. (Wehrhahn, 19,80 Euro) arne willander