Hobalala :: von Marc Fischer
Es ist eine zarte, wie hingetupfte Reportage aus dem Geist der Bossa Nova und lässiger alter Männer, die Marihuana rauchen: Der im April verstorbene Marc Fischer erzählt von dem Sänger João Gilberto, der mit „Girl From Ipanema“ einen Welthit hatte und sich seit 30 Jahren vor der Welt verbirgt. Fischer suchte ihn in Rio de Janeiro, sprach mit Wegbegleitern, einer Geliebten und einem Restaurantbesitzer, der früher fast jeden Abend mit Gilberto telefonierte und ihm die Speisekarte vorlas, woraufhin der Eremit stets das Steak mit Salzkruste bestellte, das dann vor seine Tür gestellt wurde – immer nachts, denn Gilberto hat die Nacht zum Tag gemacht. Fischer hat seine alte Gitarre nach Brasilien mitgebracht, er möchte hören, wie Gilberto darauf sein Lied „Hobalala“ spielt. Als Dolmetscherin begleitet den Reporter eine üppige kleine Frau, die er „Watson“ nennt. So ist es auch eine Detektivgeschichte – ohne Aufllösung: Natürlich durfte Marc Fischer den 80-jährigen Künstler nicht treffen – nur so konnte diese beschwingt-melancholische Meditation über die Unerfüllbarkeit der Sehnsucht entstehen. (Rogner & Bernhard, 17,90 Euro) Arne Willander
von Douglas Coupland
Wie ausgerechnet aus diesem katholischen Konvertiten und Erzreaktionär einer der einflussreichsten Medien-Schamanen werden konnte, dessen Thesen und Weissagungen zur virtuellen Existenzweise erst jetzt so richtig begriffen werden, nachdem sie teilweise eingetroffen sind, glaubt Coupland erklären zu können: McLuhan war ein Meister der „Mustererkennung“, er hasste die Massenkultur genug, um sie genau verstehen zu wollen, und überdies versorgten zwei Arterien sein Zerebrum mit Frischblut. Normalerweise haben Menschen nur eine. Coupland ist als Literat viel zu selbstbewusst und souverän, um einfach eine weitere wissenschaftliche Biografie zu schreiben. Er nähert sich diesem Analytiker, der zugleich ein fulminanter Performer war, auf kongeniale Weise – konsequent subjektivistisch, narrativ, abschweifungsreich, mit aphoristischem Witz und nicht zuletzt mit großem Gespür fürs Kuriosum. Keine Ahnung, ob das Buch die McLuhan-Philologie befruchtet, als Versuch, etwas Farbe in die Theorie zu bringen, ist es grandios gelungen. (tropen, 18,95 Euro) Frank Schäfer
von Siri Hustvedt
Man täte diesem Buch Unrecht, brandmarkte man es – wie leider oft geschehen – als „Frauenbuch“. Welche Leserschaft möchte man eigentlich mit diesem albernen Etikett gewinnen oder gar ausgrenzen? „Es gibt Tragödien und Komödien, nicht wahr?“, heißt es an einer Stelle in Siri Hustvedts herrlich beschwingtem Roman „Der Sommer ohne Männer“. „Und sie sind nicht selten eher gleich als verschieden, so ziemlich wie Männer und Frauen, wenn Sie mich fragen. Eine Komödie steht und fällt damit, dass man die Geschichte genau im richtigen Augenblick beendet.“ Um nichts anderes geht es: Hustvedt hat eine Komödie über das ewige Thema des Verlassenwerdens geschrieben. Beziehungsgeflechte werden gespannt, festgezurrt und wieder gelöst. Die Romanfigur Mia, Mitte 50, wird nach 30 Jahren Ehe verlassen. Natürlich wegen einer Schöneren, Jüngeren. Die hypersensible Autorin schickt ihre Heldin nur für gut eine Woche in die Klapse, um die akute psychotische Störung behandeln zu lassen. Trost findet die New Yorkerin in der Provinz, bei der Mutter, als Lehrerin eines Lyrik-Seminars. Alles wird gut, so viel sei verraten. Aber selbst das Happy End macht aus diesem zarten, blitzgescheiten Roman noch lange kein „Frauenbuch“. (Rowohlt, 19,95 Euro) Philipp Haibach
Das kurze Glück der Gegenwart ***¿
von Richard Kämmerlings
Natürlich ist der Untertitel „Deutschsparchige Literatur seit ’89“ eine Anmaßung, so wie jede Literaturgeschichte, ja jede noch so kurze Rezension, die uns sagen will, was gut und richtig ist. Selbstverständlich darf man daran herummäkeln, dass die Lyrik außen vor bleibt, dass Namen wie Lutz Seiler oder Kathrin Röggla mit keiner Silbe erwähnt, während kleinere Lichter wie Charlotte Roche oder Rocko Schamoni zumindest im Vorbeigehen gestreift werden. Der Literaturkritiker Richard Kämmerlings macht keinen Hehl daraus, dass sich sein Resümee der Gegenwartsliteratur der letzten 20 Jahre, angelegt als autobiografisch erzählendes Sachbuch, zu einem Gutteil auch dem subjektiven Geschmacksurteil verdankt. Etwas mehr darüber, welche literarischen Qualitätsmerkmale seiner Ansicht nach einen großen Roman von einem durchschnittlichen unterscheiden, hätte man freilich schon gern erfahren. Dennoch ist „Das kurze Glück der Gegenwart“ ein gutes, kurzweiliges und lesenswertes Buch. Nicht nur, weil es den Widerspruch herausfordert und durchweg nachvollziehbare Argumente liefert, sondern vor allem, weil es eine Diskussion darüber anstoßen könnte, was Literatur zu leisten imstande ist. (Klett-Cotta, 16,95 Euro) Alexander Müller
Alle Toten fliegen hoch **¿
von Joachim Meyerhoff
Es gibt diese Bücher, die einen in eine Vergangenheit zurückschleudern, die man lange verloren glaubte. Wie etwa die Erinnerung an den Schüleraustausch in den USA – eine kollektive Erfahrung und geistige Zäsur in der Jugend. Schnell sind 25 Jahre vergangen und man besitzt nur noch diese Fotos seiner Klassenkameraden aus den Achtzigern. Eine High School irgendwo in der Provinz: die Mädchen, die mit Haarspray ihre Frisuren zementierten, Jungs, die scheußlich-bunte Pullis trugen. Der grandiose Selbstdarsteller und Burgschauspieler Joachim Meyerhoff brachte Teile seiner autobiografischen Schriften bereits als Soloabende auf die Bühne. Nun goss er sie in einen Coming-of-age-Roman. Doch bevor es nach Amerika geht, vergehen 100 Seiten (der tragisch-komische erste Puffbesuch bei einer Schwarzen in Hamburg inklusive). Der Ich-Erzähler reiht Eindruck an Eindruck: erster (Whirlpool-)Sex, Teeniepartys, Basketball- training, die rechtschaffene Gastfa- milie, Lehrer, die so ganz anders sind – und der Unfalltod seines Bruders in Deutschland. Meyerhoff reflektiert nicht, er hat dafür ein durchaus rasantes Jugendbuch geschrieben. Bei der langwierigen Suche nach der verlorenen Zeit hilft es allerdings nur bedingt. (Kiepenheuer & Witsch, 18,95 Euro) Philipp Haibach