Ray Charles :: Rare Genius: The Undiscovered Masters
Reine Illusion: Nachgeborene bearbeiten rohe Demos des Genies
Noch ein Nachklapp aus der Ray-Charles-Industrie. Nicht so absurd wie die Platte von 2006, auf der das Count-Basie-Nachfolgeorchester alte Ray-Gesangstracks nachvertonte (ohne „nach“ kommt man hier nicht aus), aber sicher nicht die letzte Lieferung. Natürlich wurden wieder „Hunderte von Bändern“ durchgehört, natürlich waren die Leute von der Ray Charles Foundation fassungslos, dass solche Perlen im Archiv gehalten wurden. Und dann tat man alles, um der aus drei Jahrzehnten Restmaterial gepickten Outtake- und Demo-Sammlung ein durchgängiges Gefühl zu geben.
Es geht bei Projekten wie „Rare Genius“ ja nicht um Archäologie, sondern um reine Illusion: Wir sollen uns so gut wie möglich einbilden können, der Künstler hätte ein durchhörbares Album geschaffen, den roten Faden gehabt. Nur deshalb müssen dann – obwohl man rohe Demos wie „Isn’t It Wonderful“ und „There’ll Be Some Changes Made“ zu gerne gehört hätte – Gitarrist Keb‘ Mo‘ oder Keyboarder Larry Goldings antanzen und die leeren Spuren füllen. Gegen das Ergebnis an sich gibt es wenig zu sagen: Manchmal zieht Charles seinen Rhythm’n’Swing etwas zu Late-Night-routiniert durch, ab und zu („I’m Gonna Keep On Singin'“) ist er sogar feuerbeständig brillant. „Why Me Lord“, das Duett mit Johnny Cash von 1981, ist in Wahrheit ein Cash-Leadvocal mit Harmoniegesang und Pianospiel von Charles. Einen Scheck über 10.000 Dollar bekam er damals dafür, per Post aus Hendersonville. Heute ist das Ding mehr wert. (Concord) Joachim Hentschel