Sufjan Stevens :: The Age Of Adz
Der reale Gehalt irgendwelcher Sexskandälchen und Drogengeschichten sogenannter Popstars interessiert ja schon lange nur noch Society-Reporter und Rocktrottel. Der Rest rezipiert diese zugegebenermaßen immer fader werdenden Inszenierungen angeödet als Klischeeerfüllung und Konservatismus – oder wohlwollend als postmoderne Metafiktion: Hier erzählt Pop von sich selbst.
Sufjan Stevens gehört zur Gruppe der gut erzogenen, studierten Mittelschichtkinder (siehe Owen Pallett, Joanna Newsom etc.), die seit einiger Zeit auch im (trotz Bob Dylan) immer noch von Echtheits- und Authentizitätsvermutungen lebenden Singer/Songwriter-Genre ein selbstreferenzielles Spiel entlang der alten Mythen (leidender Künstler, Geschichtenerzähler, Genie und Wahnsinn) spielt. Fünf Jahre hat man nach „Illinoise“ auf ein neues Album von ihm warten müssen. Aber so lange kam einem das gar nicht vor, denn es gab ja noch eine wundervolle Outtake-Sammlung, eine Kiste voller Weihnachtslieder, einen Soundtrack – und natürlich die vielen Adepten, die einem allerdings irgendwann das Gefühl gaben, die Stevens-Methode (viele Instrumente, große Chöre, gewitzte Arrangements, schlaue Texte, Beach Boys, Paul Simon, Americana) sei schon ziemlich ausgereizt.
Und so fürchtet man zu Beginn von „The Age Of Adz“ die schlimmste Langeweile. Alles klingt so vertraut – dieser süße Hauch von Gesang, die gezupfte Gitarre, das Spieldosenklavier, die gerupfte Geige … Doch dann platschen, brodeln und dengeln elektronisch erzeugte Geräusche dazwischen, ein Beat entsteht, und ein neues Spiel beginnt. „If I was a different man/ If I had blood in my eyes/ I could’ve read your heart/ I could have read your mind.“ Sufjan Stevens nähert sich der Welt von Royal Robertson, einem afroamerikanischen Schildermaler aus Louisiana, der, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, paranoid wurde, von Raumschiffen mit Gott am Steuer träumte, seine eigene Kirche ausrief und malte wie verrückt. Eine Geschichte mit mehr Leid, mehr Genie, mehr Wahnsinn findet man nicht. Um Robertson und seine apokalyptischen Visionen kreist „The Age Of Adz“ – ein Album zwischen Liebesleid und Unendlichkeit, aus irr gewordenen analogen Synthesizern und orchestralem Bombast, Bacharach-Bläsern und Kirchenchören.
Es scheint, als habe Stevens alles, was er kann, auf diesem Album vereinen wollen, die spröde Elektronik von „Enjoy Your Rabbit“, das Beseelte von „Seven Swans“, die Konzeptkunst und den polyphonen Pop von „Michigan“ und „Illinoise“ und den symphonischen Spleen von „The BQE“. Das kulminiert schließlich im 25-minütigen Schlussstück „Impossible Soul“, auf dem er den weiten Bogen vom Gospel zum Elektropop spannt.
Natürlich ließen sich hier noch jede Menge Referenzen anfügen – von Van Dyke Parks bis Vampire Weekend -, denn dies ist eine der aufregendsten und cleversten Geschichten, die Pop in den letzten Jahren von sich selbst erzählt hat. Ein besseres Medium als den – okay, wir bleiben im Spiel – „genialischen Storyteller“ und Popstreber Sufjan Stevens hätte er dafür nicht finden können. (asthmatic Kitten) maik brüggemeyer