Marc Cohn :: Listening Booth: 1970
Fundamentalistische Cover-Versionen von Cohns Herzensliedern
Der Chirurg verhinderte bloß den Tod, als er Marc Cohn vor fünf Jahren die Kugel eines Kriminellen aus dem Kopf holte. Das echte Leben rettet sich der Songwriter jetzt selbst. Nach Jahren fieberhafter Arbeit reist er mit seinem neuen Album in einem Akt der musikalischen Selbsttherapie zurück ins Jahr 1970. Zwölf Jahre war Marc damals alt und verbrachte Stunden über Stunden unter den Kopfhörern der Testkabinen des lokalen Stores in Cleveland. Hier entdeckte er Jackson Browne, Joni Mitchell, Van Morrison und die Musik als sinnstiftenden Daseinszweck schlechthin.
Wenn Cohn Lieder seines formativen Jahres covert, dudelt er nicht einfach die Smashs herunter. Geschmackssicher stöberten er und Produzent John Leventhat auch im Obskuren abseits des Chart-Highways und entdeckten Nummern seiner Helden wieder, die nicht im Minutentakt im AOR-Radio leiern. Nichts aus dem letzten Beatles-Jahr, nicht „Let It Be“, nicht „Long And Winding Road“, dafür aber Lennons Solo „Look At Me“ und „Maybe I’m Amazed“ von McCartney, nebeneinander und auf Augenhöhe. Und statt ihres 70er-„Bridge“-Mega-Hits oder „Cecilia“ hören wir Simon & Garfunkels feines „The Only Living Boy In New York“. Das Dutzend Songs klingt wie aus einem Guss, mag das Gutes oder Schlechtes bedeuten. Ob Smokey Robinsons „Tears Of A Clown“, Cale/Claptons „After Midnight“ oder Cat Stevens‘ „Wild World“, alle Neuaufnahmen klingen mit analogem, fundamentalistischem Ansatz, wirken organisch, harmonisch und tiefenentspannt.
Cohns resonante, seelenvolle Stimme bestimmt das Geschehen, bei „Long As I Can See The Light“ etwa erinnert nichts mehr an Fogertys lunatisches Heulen. Alles nett und gut und geeignet für friedvolle Kerzenlicht-Abende, für die volle Punktzahl allerdings doch zu spannungsarm. (Membran/Neo/Sony) Rüdiger Knopf