Scout Niblett – The Calcination Of Scout Niblett
Mit einem Bunsenbrenner in der Hand winkt Scout Niblett, die ob naheliegender musikalischer Parallelen oft mit Cat Power, Liz Phair und PJ Harvey verglichen wird, freundlich vom Cover ihres neuen, mittlerweile fünften Albums. Vermutlich hat die aus Nottingham stammende Sängerin und Songschreiberin in ihrem unaufgeräumten Geräteschuppen soeben den Prozess der Kalzinierung in Gang gesetzt, das Erhitzen eines bestimmten Materials, um es zu entwässern, zu zersetzen und zur Auflösung vorzubereiten. In paradox-alchimistischer Manier dient dieses Verfahren allerdings auch der Herstellung des Steins der Weisen.
Ob sich indes der Lapis philosophorum tatsächlich in den zerrütteten, schroffen Texten der in den USA lebenden Sängerin entdecken lässt, bleibt fraglich. Zersetzt und bis zur Asche niedergebrannt wird auf „The Calcination Of Scout Niblett“ jedenfalls das, was vom Grunge übrigblieb. Wieviel musikalische Energie mit den verkohlten Überresten des einst weltumspannend erfolgreichen Seattle-Sounds noch zu erzeugen ist, beweist Emma Louise Niblett, die sich bekanntlich nach der Protagonistin des Films „Wer die Nachtigall stört“ Scout nennt, ebenso eindringlich wie vor sechs Jahren Mark Lanegan mit „Bubblegum“. In elf knöchernen, zumeist allein von Gitarre und schlagzeugbefeuerten Songs – darunter eine schwelende Coverversion von „Duke Of Anxiety“ des Lo-Fi-Duos Swearing At Motorists – ergründet sie den Blues der menschlichen Seele.
Der Nirvana- und Pixies-Produzent Steve Albini, mit dem sie seit „I Am“ (2003) arbeitet, verleiht den zwischen Verletzlichkeit und Widerborstigkeit schwankenden Arrangements eine puristische Anmutung. Unweigerlich macht sich aufgrund der suggerierten Intimität und der unbedingten Reduktion der künstlerischen Mittel eine klaustrophobische Stimmung breit, die jedoch in jedem Moment kippen kann, wenn ein störrisch lärmendes Riff wie in „Cherry Cheek Bomb“ oder ein bedrohlich glimmendes Feedback die Wände einzureißen versucht und ins Freie drängt. Darüber erhebt sich Nibletts Stimme selbstbewusster, konsequenter, aber auch einsamer denn je, da ihr gelegentlich der männliche Widerpart fehlt, den Will Oldham etwa auf dem aufwühlenden Vorgängerwerk “ This Fool Can Die Now“ gab.
Dennoch hält „The Calcination Of Scout Niblett“ jederzeit die Spannung aufrecht: zwischen Selbstgespräch und Dialog mit dem Hörer, zwischen zurückhaltender Innerlichkeit und eruptiven Ausbruchsversuchen, zwischen sprödem Blues und mitreißenden Grunge-Anklängen.