David Wagner – Spricht das Kind :: Wo war ich da?

Das ist eins dieser wunderbaren Bücher, an denen man mitgeschrieben zu haben glaubt, so sehr korrespondieren und verhaken sich die Reflexionen, Aphorismen, Anekdoten und Kürzestgeschichten, die der Autor hier zu 111 locker thematisch geordneten Grüppchen formiert, mit dem eigenen Erfahrungsfundus. Wagner beobachtet und beschreibt, scheinbar zurückhaltend, aber in Wirklichkeit sachgemäß und elegant, wie sein Leben mit Kind die eigene Wahrnehmung verändert. Er spiegelt sich in seiner Tochter, und indem er miterlebt, wie das Kind sich die Welt aneignet, wird er selbst wieder in die Lage versetzt, sich als Kind zu erfahren, die gewohnten, konventionell gewordenen Realitäten noch einmal neu zu entdecken. Das ist gewissermaßen die naive Dimension dieses Buches, die kontrastiert wird von der sentimentalischen. Zugleich nämlich schärft seine Vaterschaft den Blick auf die eigene Kindheit. Wagner erinnert sich, und das geht nicht ohne diesen bittersüßen Schmerz der Vergeblichkeit ab, aber eben auch nicht ohne Erkenntnisgewinn. Seine Eltern schrumpfen dabei mehr oder weniger auf Normalmaß zusammen, aber gerade deshalb kann er sie jetzt besser verstehen. Zwischen Erinnerung, Gegenwartsbeobachtung und Reflexion assoziativ springend, stellen sich ihm dann naturgemäß auch die großen Fragen, die so groß sind, dass sie notwendig unbeantwortet bleiben müssen. Wenn es überhaupt etwas zu kritisieren gibt an diesem grandiosen Buch, dann den Umstand, dass ihm die eigene Vaterrolle an keiner Stelle zum Problem wird. Die blütenweiße Weste kaufe ich ihm nicht ab, aber sonst so ziemlich alles.

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