Billy Bragg :: Mr Love & Justice
In England kaum Neues: Typische Protestsongs mit Witz
Wir haben ja immer gewusst, dass Klassenkämpfer sehr romantisch sein können. Es geht ans Herz, wie Englands führende Kommunisten Billy Bragg und Robert Wyatt eine Liebe —oder vielleicht doch eher einen alten ideologischen Weggefährten? — ansingen und den Glauben an gemeinsame Träume heraufbeschwören. „All the dreams we shared/ I never knew no one who cared/About these things the way that I’ve seen in you/ It doesn’t matter if/ This all falls off the cliff.“ Nach dieser anrührenden Eröffnung scheint der Titel des ersten Billy-Bragg-Albums nach sechs Jahren Pause gar nicht mehr so sehr in Ironie getränkt.
Gut, das mit der Romantik hält Bragg nicht lange durch. Wenn er etwa in „M For Me“ die Liebesbeziehung als kleinste solidarische Gemeinschaft besingt und in „Something Happened“ mit der doch recht profanen Definition „Love is when you willingly place someone else’s priority above your own“ aufwartet, wirkt er eher wie der book-keeper of human kindness. Auch der Albumtitel ist natürlich keine ironische Selbstbezichtigung, sondern ein Name für den alten Herrn dort oben, dem Bragg Kinderfragen stellt wie „Is there any love and justice in the world for me?“
Klar, dass er auf diese rhetorische Frage keine Antwort bekommt. Sie dient auch eher als Vorlage, denn Billy Bragg kommt natürlich auch zurück, um sich Zu beschweren — über den hohen Preis, den wir für die Terror-Abwehrzahlen müssen („In our determination to defend democracy/ We must not destroy the safeguards that underpin our liberty“) und über skrupellose Geschäftemacher („The Johnny Carcinogenic Show“). Gespickt mit Witz und getragen von typischen Bragg-Melodien natürlich (manchmal aber etwas zu rustikal und gut gemeint begleitet von den Blokes) – doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass dieser Protest mit all seinen Argumenten, die wir schon tausendfach auf Internetplattformen und in Kommentaren lasen (und vermutlich selbst schon gedacht haben), wirkt wie die Zeitung von vorgestern. Nur, dass man keinen toten Fisch drin einwickeln kann.