Donald Fagen – Nightfly Trilogy :: Die drei glänzenden Alben mit je einer „MVI“ samt Videos, Songtexten und Weblinks für Computer und DVD sowie eine CD „Trilogy Extras“ mit zehn weiteren Stücken
Sogar in der an Exzentrikern reichen Historie der Popmusik ist Donald Fagen ein Sonderfall. Ein Technokrat, Futurist und Perfektionist – und zugleich ein Nostalgiker. Ein Connaisseur und Bewunderer des alten Jazz – der R&?B und frühen Rock’n’Roll spielt, der die Songstruktur achtet und rigide arrangiert.Ein Fabulierer, der die Fantasie liebt – und seinen Liedern (und seinen Musikern!) doch alle Spontaneität austreibt. Und ein Mensch, der sich von seinem Freund und musikalischen Partner Walter Becker trennte, als die beiden 1980 mit „Gaucho“ in Paranoia, Obsession und Drogenwahnsinn versunken waren— um ihm dann fast zwei Jahrzehnte lang immer wieder Postkarten zu schicken. Acht Jahre mit Steely Dan lagen hinter ihnen, schon seit „Do It Again“ überaus erfolgreich. Allerdings brauchten sie nach „Aja“ drei Jahre für die nächste Platte, eine damals unerhörte Zeitspanne.
1982 erschien „The Nightfty“, die Beschwörung der späten 50er und 60er Jahre — der Kindheit und Jugend Fagens also und der Musik jener Ära. Vom „International Geophysical Year“, dem „I.G.Y.“ 1959 bis zum Haiti der Militärdiktatur um 1967 in „The Goodbye Look“ – das er Ende der 70er Jahre schrieb, auch von Graham Greenes Roman „The Comedians“ inspiriert -reicht Fagens Rückschau, vom Aufbruchsgeist der Kennedy-Jahre („What a beautiful world this’ll be/ What a glorious time to be free“) bis zur touristischen Dekadenz in der Karibik („Won’t you pour me a Cuban breeze, Gretchen“). In seinen Liner Notes erklärt Fagen die Zitate von Doo-Wop- und R6?B-Musik der Ära; „Ruby Baby“ ist ein Stück von Jerry Leiber und Mike Stoller, den urbanen jüdischen Songschreibern für schwarze Ensembles wie die Drifters. Es ist ein Hommage an die nächtlichen Diskjockeys, die Atomschutzkeller im Garten, die windschnittigen Automobile, die Weltraumfahrt und den Fortschrittsglauben.
Schon beim Mischen von „The Nightfiy“ geriet der damals 32-jährige Fagen in eine tiefe Krise der Arbeit und der Liebe; kurze Zeit später hätte er also diese Platte nicht mehr aufnehmen können, schreibt er: Es war die letzte Gelegenheit, um die jugendliche Unschuld zu ergreifen, bevor sie vom Leben gebrochen wurde. Bis 1993 erschien kein Album mehr von Fagen.
Als „Kamakiri“ herauskam – natürlich produziert, gemischt, gemastert mit dem neuesten Schnickschnack – wurde das Science-Fiction-Märchen mit Befremden aufgenommen. „Near the millennium“ ist das Geschehen angesiedelt, eine Exkursion im dampfgetriebenen Gelahrt „Kamakiri“ mit bordeigenem Gewächshaus. Aber je länger Donald Fagens Held durch diese wahrhaft schnittigen, schnieken Songs gleitet, desto mehr begreift man, dass hier jemand eine innere Landschaft durchquert. Der Sound, stets klischeehaft als „steril“ und „aseptisch“ bezeichnet, steckt voller wunderbarer Arrangements und Details. Die Art, wie die Stimmen angordnet sind, die Bläser, die Percussion, das Fender Rhodes, ist einzigartig sogar in Fagens glorreichem Werk. Es gibt nichts Schöneres, als in einer eisigen Nacht „Snowbound“ zu hören mit den letzten Zeilen:
„We sail our icecats on the frozen river/ Some loser fires off a flame, amen/ For seven seconds it’s like christmas day/ And then it’s dark again.“ Oder das sehnsüchtige „When the cold wind comes/ go where the dahlias bloom“ in „Florida Room“, vom Chor insistierend wiederholt. Hier hält sich ein Verglühender am Leben fest: „Can she bring me back to life once more?“
Schließlich kulminiert die Fahrt in die Melancholie in Fagens vielleicht schönstem Stück überhaupt, „On The Dunes“, einer kristallinen, mathematisch perfekten Ballade, deren Fadeout endlose vier Minuten mit Saxofon-Soli und Klavier-Kadenzen nachklingt, immer wieder anschwellend und verebbend. Der suizidale Erzähler schaut den schönen Booten und den Frauen mit ihren Liebhabern hinterher, die Sonne brennt, doch die Küste ist für ihn zum grausamen Ort geworden: „In the summer all the swells/ Join in the search for sun and sand/ For me it’s just a joyless place/ Where this loneliness began.“ Nach noch einmal 13 Jahren — mittlerweile hatte Fagen allerdings wieder mit Walter Becker gearbeitet — erschien 2006 das dritte Meisterwerk, „Morph The Cat“. Das New York, das Fagen so oft besungen hatte, gab es nicht mehr, und die Welt war so verrückt geworden, wie er sie in seinen zynischsten Songs gemalt hatte. In diesem Augenblick erinnert sich Fagen an eine legendäre Band, die verschwand, und an eine Phantom-Katze; an den bewunderten Ray Charles und den aufdringlichen Kerl im „Brite Nitegown“ – den Gevatter Tod natürlich. Aber wie noch stets in Fagens Welt sind es Frauen wie „Security Joan“, die Rettung bedeuten.
Ach, der neueste Schickschnack: Zehn Stücke, drei davon in Live-Auf nahmen, sind auf einer Extra-CD zu hören. Auf je einer „Music Video Interactive“ (MVI) sind Videoclips enthalten und „more to do“, nämlich interaktive Spielereien für den Computer. Auch die Bonus-Songs sind hier noch einmal verteilt, natürlich toll in 5.1 Surround-Sound, und zwei Interviews mit Fagen. Sowie die Songtexte und Fagens Liner Notes, die man beim Hören zur Hand haben müsste (indes liegt nur je ein Blatt mit dem Cover bei). Aber im neuen Jahrtausend kann man derlei ja ausdrucken.