Tuxedomoon :: 77o7tm – The Tuxedomoon 30th Anniversary Box
Eine Reise vom wilden Lärm zum eher langweiligen Künstlertum
Ich will es mir nicht zu leicht machen. Ganze Plattensammlung durchgewühlt. Endlich „No Tears“ gefunden, erschienen 1978. Nicht die erste Single von Tuxedomoon, aber immerhin die zweite. Kassettenrekorder-Sound, grandios piepsige Orgel, obszönes Nebelhorn-Saxofon, scheppernder Mülltonnen-Beat und dazu Winston Tones exaltiert hysterisches New-Wave-Gekreische – der Stil-Polizist und Fan DJ Hell hat das Stück im Jahr 2000 nicht ohne Grund auf seinem Gigolo-Label wiederveröffentlicht. Wilder, wegweisender Lärm. Auch „Half Mute“, das erste Album, klang 1980 neu und anders. Eleganter als Cabaret Voltaire, aber deswegen noch lange kein Pop wie Human League. Tuxedomoon waren damals auf Ralph Records, dem Label der Kunstband The Residents. So viel nur zu den Anfängen, die hier in keinerlei Liner Notes erklärt werden.
„77to7tm“ besteht aus drei CDs: ein Livekonzert von 2007, das neue (auch einzeln erhältliche) Album „Vapour Trails“ und „Lost Chords“, eine CD mit unveröffentlichten Aufnahmen aus den Jahren 1977-1997. Mit im Paket ist eine 160 Minuten lange DVD mit zwischen 1977 und 1988 entstandenen „Found Films“. Ein Schatzkiste für Fans – doch für alle anderen durchaus verzichtbar. Die „Lost Chords“ wirken wie ein Flickenteppich, weil man nicht nur auf eine Kommentierung, sondern auch auf Chronologie der Auf nahmen verzichtet hat. Es gibt Gastsänger wie Marcia Barcellos, dazu Outtakes der „Half Mute“-Sessions, Live-Aufnahmen und allerlei Obskuritäten mehr. Das kann schon mal so toll klingen wie das 1977 entstandene Demo zu „Devestated“, auf dem man fast sieben Minuten lang die ganze Großstadt-Paranoia-Romantik der frühen Tuxedomoon findet. Davon hätte ich gerne mehr gehört.
Das Live-Album und „Vopour Trails“ zeigen, was aus der Band geworden ist: Vollblutmusiker, die bestimmt gut mit Bugge Wesseltoft jammen könnten. Doch die frühen Songs waren auch deshalb so intensiv, weil sich hier Menschen einer Technologie und eines Instrumentariums bemächtigten, die sie bestenfalls ansatzweise beherrschten. Das hatte etwas kindlich Dreistes, erzählte aber auch von den Träumen schlafender Maschinen. „Muchos Colores“ versucht, diesen romantischen Faden wieder aufzunehmen. Doch die Sehnsucht hat nun andere Ziele und Wege, man denkt an Jazz und dampfende Gullydeckel. Seit 2004 bestehen Tuxedomoon aus Blaine Reininger, Steven Brown, Peter Principle und Luc van Lieshout, entstanden ist das neue Album in Athen. Es ist vor allem gepflegtes, aber langweiliges Künstlertum, das hier kultiviert wird.
Dann lieber eintauchen in die krude, ambitionierte Videowelt von „Found Films“. Da gibt es die „Ghost Sonata“ zu bestaunen, eine 43 Minuten lange „Opera Without Words“. Oder „1000 Lives By Pictures“, neun Musikvideos. Da werden verwackelte Handkameras und Video-Farbspielereien geboten, meist in lausiger, von alten Bändern digitalisierter Bildqualität. Zeitgeist! Die Fans werden’s mögen.