Du sollst begehren
„Du sollst begehren“ von Gay Talese ist eine polyphone, ausschweifende Mammut-Reportage zur sexuellen Revolution in den USA. Talese war mittendrin im Geschehen. Er schlägt sich die Abende in versifften Pornokinos um die Ohren, besucht regelmäßig Massagesalons, die sich in den 60er Jahren als bürgerliche Ersatz-Puffs durchsetzen, interviewt Diane Webber, eine der ersten ganz nackten „Masturbationsmätressen“ der 50er Jahre neben Betty Page. Er besucht das Set eines Pornofilms und bleibt solange, bis auch der letzte Cumshot im Kasten ist, und er lebt einige Wochen in der legendären Sandstone-Kommune in Kalifornien, wo man sich der freien Liebe ohne Besitzansprüche und konventionelle Stellungsvorgaben widmet. Dazwischen porträtiert er die vielen „Schmuddelverleger“, Künstler und Freidenker. Heraus kommt eine assoziative, mit literarischen Mitteln wie Reprisen und Motivwiederholungen verknüpfte, bisweilen ermüdend detailverliebte, bisweilen arg verklatschte, aber meistens doch fulminante und spannende Collage. Talese zeichnet ein ziemlich authentisches Bild von der Vielgestalt der sexuellen Revolution, die in dieser polyperspektivischen Darstellung eher den Eindruck einer-wenn auch nicht ganz zufälligen – Häufung einzelner liberalistischer Revolten erweckt. Er führt vor, dass die Historie keineswegs so zielgerichtet verlaufen ist, wie sie den Nachgeborenen bisweilen erscheint. (29,90 Euro)