PJ Harvey :: White Chalk
Dunkle Songs, fast unverstärkt und gewohnt rätselhaft.
Das Coverfoto trifft die Stimmungvon PJ Harveys achtem Studioalbum ziemlich genau: Das weiße, viktorianische Kleid, die im Schoß gefalteten Hände und ein Blick, der mehr verbirgt, als er preisgibt. Wir sind scheinbar in einem anderen Jahrhundert gelandet, und es ist nicht die feministisch lärmende Furie der Neunziger, die hier singt und spielt, sondern eine Figur wie aus „Das Piano“ oder „Picknick am Valentinstag“. „White Chalk“ wirkt wie ein Konzeptalbum, denn die pur und fast unverstärkt daherkommenden, sehr dunklen Songs scheinen miteinander verbunden. Man könnte die Musik Folk nennen, wäre da nicht diese leicht entrückte Feierlichkeit, die so gar nicht nach Heustall riechen will. Ein Großteil der Songs ist auch nicht wie sonst an der Gitarre entstanden, sondern am Piano, einer heißt sogar „The Piano“.
Produziert wurde „White Chalh,“ von Flood, John Parish und PJ Harvey – ein Team, das bereits an „To Bring Ton My Love“ und „ls Tliis Desire“ zusammen arbeitete. Doch vergleichen kann man diese Alben mit dem neuen nicht, weil sie viel stärker im Rock wurzeln und ihr Ziel zu kennen scheinen. Wenn man dagegen einen so zart und schwerelos hingetupften Song wie „When Under Ether“ hört, bei dem es gleich im ersten Satz heißt: „The ceiling is moving. moving in time“, weil unter Äther offenbar alles ein Eigenleben entfaltet, um dann einfach zu verschwinden. Der Titelsong „White Chalk“ geht noch weiter und klingt, als hätte sich ein junges Mädchen in einem großen dunklen Wald verirrt. Sie schlägt in die Saiten ihrer Gitarre, um sich Mut zu machen, und plötzlich stimmen eine Mandoline und ein Banjo ein, der Gesang wird kräftiger, fast hymnisch. Immer mehr Instrumente kommen hinzu, Mundharmonika, Piano, Schlagzeug, sogar ein Chor summt leise mit. Mag sein, dass es Leute gibt, die so etwas kitschig finden – ich finde es ergreifend. „Broken Harp“ steht dem in nichts nach, auch hier gibt es am Anfang nur Stimme und die besagte Harfe, später kommen ein paar kosmische Geräusche hinzu, oder wie immer man dieses Undefinierte Summen und Raunen nennen will.
Hier – und auch an vielen anderen Stellen-glaubt man, den Atem von Shirley Collins zu spüren, der großen Interpretin und Chronistin des englischen Folk. PJ Harvey stand dem Musikgeschäft immer recht kritisch gegenüber „White Chalk“ hat mit dem Geschäft und seinen Aufgeregtheiten praktisch nichts mehr zu tun. Dafür ist ihre Musik jetzt ganz bei sich: emotional, rätselhaft und berührend.