Diverse – White Bicycles: The Joe Boyd Story :: Diverse Arbeiten des großen britischen Folk-Produzenten
Es ist noch nicht so lang her, daß Joanna Newsom als das Folk-Wunderkind der Stunde und vielen als Offenbarung galt. In drei oder vier Jahrzehnten wird man sich an sie womöglich genauso erinnern wie heute an Vashti Bunyan. Die war vor vielen Jahren auch mal selbst in Folk-Zirkeln das, was man einen acquired taste nennt. Gleichwohl traute ihr Produzent ihr große Dinge zu und verpflichtete für das Debüt-Album „Just Another Diamond Day“ Mitglieder von Fairport Convention und Incredible String Band, als Arrangeur zudem niemand anderen als denselben Robert Kirby, der in dieser Funktion auch Nick Drake betreute. Wie Miss Bunyan ihre Lieder auch schon mal eher wisperte und hauchte denn sang, erinnerte ein wenig an Judy Dyble und die junge Marianne Faithfull. Ein nennenswerter kommerzieller Erfolg wurde das nicht. Aber Joe Boyd war 1970 schon Kummer gewohnt.
Waser und Witchseason Productions an Aufnahmen produzierten, richtete sich primär und zunächst mal überwiegend an Kenner. Die Incredible String Band beispielsweise, die eine für den gewöhnlichen Folk-Freak, musikalisch sozialisiert mit den traditionelleren Spielarten dieser Gattung damals, ziemlich ausgefallene Variante von Folk Music – falls man das überhaupt noch so nennen konnte – kultivierte. Oder diese neue Underground-Attraktion Soft Machine, die Musik Lichtjahre abseits von jedem aktuellen Rock-Mainstream machte. Bei einem seiner ersten Produzenten-Jobs fand sich für die Aufnahme zu einem Elektra-Sampler eine veritable Supergroup ein: Eric Clapton, Steve Winwood, Jack Bruce, Ben Palmer, Pete York und Paul Jones nahmen Robert Johnsons „Crossroads“ auf. Keine ausgesprochen denkwürdige Interpretation, aber als Vorstudie für spätere Cream-Deutungen zumindest so passabel, dass der Label-Chef das Band sofort an sich nahm, um es in New York abmischen zu lassen.
Von Auftritten in Cambridge und im UFO London kannte Boyd Pink Floyd und deren Manager. Als die ihm ein Demo von „Arnold Layne“ in die Hand drückten, spielte er das wenig später Elektra-Boss Holzman vor. Der fand das nicht nur nicht gut, sondern feuerte umgehend seinen nach London emigrierten Talent-Scout. Eine der komischeren (wenngleich nicht für Boyd natürlich) Anekdoten, die er bei jeder der 23 handverlesenen Aufnahmen dieser Retrospektive zum besten gibt. Nur das Rätsel, wie Fairport Convention an „If I Had A Ribbon Bow“ kamen und den von Karen Dalton schon so unglaublich interpretierten Song in ein munteres Stück Folk-Rock transformierten, lösen die Anekdoten hier auch nicht. Boyd hielt diese Deutung für ganz toll, „but pop radio producers feit otherwise“, wie er in den Liner Notes klagt.
Von ganz anderem Kaliber waren die beiden anderen für diese Werkschau ausgewählten Aufnahmen der Band. Sandy Dennys ,Autopsy“ war einer der Höhepunkte von „Unhalfbricking“ (eine LP, die Boyd heute – weil „quite painful“ nur noch ungern hört). Kurz nach den Aufnahmen starben Schlagzeuger Martin Lamble und Richard Thompsons Freundin Jeannie Franklin bei einem Unfall. „The Deserter“ vom folgenden „Liege & Lief“ wählte er aus, weil es für ihn eine der größten Ensemble-Leistungen der Band ist. Wieso er sich bei Nick Drake ausgerechnet für „Poor Boy“ und „Way To Blue“ entschied, ist – die Liner Notes legen das dar-nachvollziehbar. Es ist auch nicht so, als wollte Boyd diesen Rückblick als makellose Erfolgsgeschichte verkaufen. Er erzählt durchaus auch, warum er sich von dem einen oder anderen Künstler gelegentlich enttäuscht fühlte, weil er der Ansicht war, dass derjenige nicht immer ihr Potenzial ausschöpfte. Auf Richard Thompson aber lässt er nichts kommen.
Fast hätte er es ja auch zu einem richtig steinreichen Multimillionär seines Gewerbes gebracht: In den Liner Notes wird einmal mehr die Anekdote erzählt, wie er „Arnold Layne“ produzierte, von Pink Floyds neuen Agenten aber ganz schön link ausgehebelt wurde, als die diese Aufnahme als erste Single an EMI lizenzierten und man dort entschied, dass künftig alles vom hauseigenen Produzenten Norman Smith betreut werden sollte. Was ihn diese Trickserei kostete, konnte er da gar nicht ermessen. Weil er John Cale und Mo Ost in überzeugte. Nico nach dem finanziell nicht so berauschenden Resultat von „The Marble Index“ eine zweite Chance zu geben und bereit war, „Desertshore“ mit zu produzieren, findet man auch daraus eine Kostprobe. Noch so ein Stück für Kenner, die Joe Boyd immer im Visier hatte bei seiner Arbeit.
Die absoluten Raritäten hier sind das von Dave Swarbrick, Martin Carthy und Diz Disley für die „Gigs Reeh & Airs“-LP aufgenommene „Spanish Ladies Medley“ und das vor Jahrzehnten nur kurz mal in Südafrika auf Single erschienene Instrumental „Church Mouse“ von Dudu Pukwana & Spear – mit Simon Nicol und Richard Thompson an der Gitarre als Gästen. Was in weder Europa noch Amerika je herauskam.