Nick Drake :: Family Tree
Vor Jahren angekündigt und am Ende zögerlich doch noch von Schwester Gabrielle zur offiziellen Veröffentlichung freigegeben, ist diese Songkollektion mit „The Paul Simon Songbook“ oder ähnlichem Frühwerk eines aufstrebenden Songpoeten nicht vergleichbar. Das ist gewissermaßen mehr Vor- als Nachlass (wenn es denn den Begriff gäbe). Bei diesen Amateur- und Semiprofi-Aufnahmen mussten Robert Kirby und John Wood -die Drake als Arrangeur bzw. Tonmeister der späteren Studioproduktionen ja bestens im Ohr haben fallweise auch die korrekte Absolut-Tonhöhe (nach)regeln.
Als Vorlagen wählte Drake damals Songs anderer üblicher Verdächtiger aus, den wunderbaren „If You Leave Me“-Blues von Dave Van Ronk, bei dem die Auswahl vorzüglichen Geschmack beweist. „Here Come The Blues“ und „Blues Run The Game“ von Jackson C. Frank, die beide eher nicht zu den sehr tief empfundenen Deutungen dieser großen Lieder gehören, das von Bert Jansch geliehene „Strolling Down The Highway“, das klangfarblich mehr wie sein eigener Song denn wie ein Stück des virtuosen Folk-Maestro klingt (am Ende diskutiert er, das wurde nicht höflich geschnitten, über die Unzulänglichkeiten seiner Grifftechnik). Und Dylans „Tomorrow Is A Long Time“, das gegenüber der Vorlage ein paar markante (rhythmische) und für Drakes spätere Kompositionen charakteristische Abweichungen aufweist.
Wer die Studioplatten kennt, wird bei diesen in Südfrankreich auf simplem Gerät aufgezeichneten Darbietungen unschwer manche typischen Eigenheiten wiedererkennen. Aber dass er bei seiner Interpretation von „Here Come The Blues“ auf Schmerzen tötende Tabletten und Selbstmord zu sprechen (singen) kommt, war damals dem Song und nicht seiner privaten Verfassung geschuldet. Die Aufnahmen sind im Sequencing völlig verwürfelt, will sagen: Sie wurden nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung überspielt, auch nicht in der historischen an verschiedenen Orten, sondern mehr als Suite. Strengere Qualitätsmaßstäbe mochte man bei diesen aus privater Schatulle öffentlich gemachten Aufnahmen auch nicht anlegen. Andernfalls hätte man die paar Takte von Mozarts „Kegelstatt Trio“ (Nick mit Mutter und Schwester), die 24 Sekunden Amateurklavier von „Paddling In Rushmere“ oder die nicht gerade profunde Deutung des „Cocaine Blues“ von Reverend Gary Davis vielleicht doch besser weggelassen. Gerade weil hier wegen besagter verwürfelung keinerlei künstlerische Entwicklung des jungen Mannes nachvollziehbar ist, erscheint um so rätselhafter, von welchem Heiligen Geist er zu diesem Songzyklus inspiriert war, den er mit dem Debüt „Five Leaves Left“ vorlegte. Von allen hier konservierten Demos früher Kompositionen vermittelt nur das von „Way To Blue“ viel Ahnung von späterer Größe der faszinierenden Studioproduktion.