Laurie Anderson – Big Science

Es war ein etwas irrer Totentanz, zu dem Saxofone, Farfisa, Klarinette und Schlagzeug bei „From The Air“ aufspielten, während Laurie Anderson erklärte, sie sei der Captain des Flugzeugs, ein Höhlenmensch übrigens mit Augen am Hinterkopf, sie werde jetzt eine Bruchlandung einleiten, und die Passagiere möchten doch bitte die Hände über die Augen legen und aus dem Flugzeug springen.

Flugzeuge vom Himmel fallen zu lassen, war nicht der Stoff, von dem sich viele vorher zu Songs inspirieren ließen. Und wenn, dann waren „Ebony Eyes“ von den Everly Brothers oder John Fogertys „It Came Out Of The Sky“ thematisch andere Baustellen gewesen. Diese viereinhalb Minuten Katastrophen-Szenario klingen im ganzen Flair viel zu surreal, als dass man ihnen rückblickend prophetischen Charakter zubilligen könnte. Wie überhaupt die ganze Debüt-LP letztlich nur ein work in progress war, ein kleiner Ausschnitt aus dem Magnum opus “ United States, I -IV“, an dem sie zu der Zeit arbeitete. Eine der schon fertigen Kompositionen hatte sie für ein winziges Label als Single eingespielt. Die fiel zufällig dem Discjockey John Peel in die Finger. Und worauf niemand auch je nur einen Penny verwettet hätte: „O Superman“ wurde ein richtiger Hit. Ein Schock für Miss Anderson, die 500 Dollar für die Produktion von einer Stiftung geschenkt bekommen hatte. Wie sie in den Liner Notes zu dieser Remaster-Edition erzählt, wollte sie sich von Karin Berg, für Warner Bros, in Sachen Arists & Repertoire aktiv, zunächst nicht dazu breitschlagen lassen, irgendetwas aus diesem noch im Werden begriffenen Songzyklus aufzunehmen. Als Performance-Künstlerin betrachtete sie sich loyal als Mitglied der sehr überschaubaren und wenig betuchten Avantgarde-Gemeinde damals. Auch nachträglich klingt das immer noch komisch, wenn Kritiker ihren Platten leicht verzweifelt den Begriff,Art Rock“ überstülpten: Mit King Crimson, Yes, Gentle Giant, Material hatte das überhaupt nichts zu tun. In den Kreisen, in denen sie sich damals bewegte, betrachtete man auch Bands wie die genannten nur als Vertreter des internationalen Pop-Zirkus. Als Film-Festival galt – dafür verbürgt sich Miss Anderson – in der New Yorker Avantgarde-Szene der späten Siebziger, wenn sich acht Kollegen in einem Loft gegenseitig ihre Experimentalfilme in amateurhafter Prolektion vorführten! Kein Wunder, dass ihr aus diesen Kreisen viel Verachtung und richtiger Hass entgegenschlugen, als urplötzlich „O Superman“ in Europa der ungewöhnlichste Hit des Jahres wurde und wenige Monate später die Debüt-LP in England sogar bis auf Platz 29 der Hitparade kam.

Denn diese ausgewählten Aufnahmen waren im Grundsatz nicht mehr und nicht weniger als die akustische Folie zu ihren Multimedia-Performances, in so komplexen Themen ¿wie Vereinsamung der Vorstädte (darin visionär und prophetisch), Technologie, Gigantismus, Apokalypse der Zivilisation usw. viel ernsthafter als das Frühwerk und etwa ihre allererste Single mit dem wunderbaren und auch erkenntnistheoretisch schwer zu widerlegenden Titel „It’s Not The Bullet That Kills You (It’s The Hole)“. Im fragmentarischen Charakter ist „Big Science“ auch ein Vierteljahrhundert später nach wie vor um vieles mysteriöser und gewöhnungsbedürftiger als das danach von Bill Laswell produzierte Studio-Werk „Mister Heartbrcak.“-Eine Aufnahme wie „Example # 22“ („Beispiele paranormaler Tonbandstimmen/ Was sind paranormale Tonbandstimmen?/Es sind Stimmen unbekannter Herkunft/ Es sind paranormale Tonbandstimmen…“) hatte doch ungleich weniger Ohrwurmqualitäten. Als Zugaben findet man bei der Jubiläumsausgabe die „O Superman“-B-Seite „Walk The Dog“ und den Hit als Video, beide nur am Rechner abspielbar (allerdings als WAV- und Mpeg-Dateien aus dem Netz herunterladbar). Obwohl nach Andersons Meinung „almost like a folk record“ aufgenommen, wird das auch nach dem Remastering von Greg Calbi (auf das die Künstlerin stolz ist, vor allem auf die richtig satten Bässe jetzt) kaum jemand als Klassiker dieser Gattung empfinden. Die von ihr erfundene Tape-Bow-Violin klingt wirklich anders als Fiedel, Dulcimer, Violaoder irgendwelche akustischen Instrumente in herkömmlicher Folk Music.

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