Diverse – Brazil 70 – After Tropicalia :: Spannende Anthologie mit innovativen brasilianischen Sounds

Rita Lee, damals Sängerin der Gruppe Os Mutantes, sagte es später so: „Tropicalia war mein musikalischer Kindergarten, in dem ich lernte, auf Portugiesisch zu texten, auf Spanisch zu singen, auf Englisch zu spielen, auf Afrikanisch zu tanzen und auf Esperanto zu komponieren.“ Die kurze Bewegung, um 1967 als Projekt einer kleinen Künstlergruppe entstanden, eine Reaktion gegen die Repressionen der brasilianischen Militärdiktatur, war eines der letzten Beispiele dafür, wie Pop die Funktion einer echten Geheimsprache übernehmen konnte. Und dafür, wie Musiker für ihre Songs haften müssen. Caetano Veioso und Gilberto Gil wurden verhaftet, ins Exil geschickt – so hätte sich Geldofs G-8-Konzert auch verhindern lassen.

An der Stelle setzt die Compilation ein: wie es in den 70er Jahren weiterging, nach der schon mit unzähligen Editionen und Jubiläen gefeierten Tropicalia. Der 1972 heimgekehrte Gilberto ist dabei, mit zweien seiner tollen, komplexen Salsa-Rock-Puzzles, Caetano fehlt. Vielleicht, weil der sich damals mehr mit Folkore beschäftigte und diese 16-Track-Sammlung darauf

aus zu sein scheint, die weiteren Verschmelzungen zwischen brasilianischer Tradition und den neuen englisch-amerikanischen Vorbildern zu zeigen. Am Anfang steht gleich ein schmissiger Folk-Groove der Gruppe Secos E Molhados, inklusive dem Original-Du-bi-du aus Crosby, Stills & Nashs „Judy Blue Eyes“.

Platte Kopien gab es damals sicher viele, hier erinnert ab und zu etwas an die Byrds, an Westcoast-Rock oder Santana, und ausgerechnet Gal Costa singt über einen unverblümten Exploitation-Funk, in Portugiesisch freilich. Am überraschendsten sind die Künstler und Stücke, die offenbar selbst zu Blaupausen wurden: die Experimente des Raul Seixas, die schon einen Anflug von minimalistischem HipHop haben, und die sommervergilbte Melancholie vieler Gesänge, denen der britische Twee-Pop nachweislich ein Stück Heimat verdankt.

Wie immer bei Soul Jazz Records: ein gutes Mixtape, aber höchstens ein Vorgeschmack. Und eine kleine Träne für eine Szene, der durch politische Sanktion der Schneid abgekauft wurde.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates