Sinéad O’Connor – Theology :: Lamentos und Hosianna: Die Priesterin kriegt noch die Kurve
Er nahm das Album und brach. Also der Kritiker, und im übertragenen Sinne. Sein Fehler: Zuerst hatte er die „Dublin Session“ dieser schwer spirituellen Doppel-CD in den Player gepackt. Alte Gewohnheit, oft sind die reduzierten Fassungen prächtig produzierter Platten ja emotional reicher und intensiver. Hier aber nicht. Die Litaneien der palmarianisch-katholischen Priesterin sind in ihren akustischen Versionen sehr mehrheitlich nervtötendes Genöle ohne Form und Finesse und Farbe. Die Gitarrentöne umspielen sich noch hübsch folkig, doch die unstrukturiert und spannungslos schlingernden Melodien der Irin geißeln das Gehör. Viele Texte hat sie Wort um Wort, Barm um Barm der Heiligen Schrift entnommen, den Psalmen und den Büchern der Propheten. Das darf sie. Aber wenn diese öden Lamentos über göttliche Liebe, Erkenntnis und Vergebung ein Vorgeschmack sein sollen auf das, was uns erwartet, dann möchten wir uns aus diesem irdischen Jammertal doch lieber nicht so zeitnah erlösen lassen.
Nach dem Auswurf landet die „London Session“ also mit nur mäßiger Erwartung unter dem Laser. Doch welch himmlische Überraschung folgt da! Schön umwölkt von Drums, Bass (teils gespielt von Robbie Shakespeare), Harfen, Streichern, E-Gitarren und allerlei weiterem Tonwerk finden die Predigten der Sinéad O’Connor urplötzlich fast zu diesseitigem Hosianna. „Something Beautiful“ hat jetzt den passenden Titel, „Out Of The Depth“ schickt einen mitreißenden Ethno-Tanzbeat zum Firmament, „Whomsoever Dwells“, in der minimalen Edition schon ein kleiner Solitär mit Drive, stellt sozusagen Apokalyptika mit allen fetten Bassgeigen in den Altarraum: toll. Und „Rivers Of Babylon“ ist, Sankt Frank sei gepriesen, jetzt eine ziemlich druck- und schwungvolle Ode an die Lebensfreude.
Ob man sich frömmlerische Lieder in jedweder Qualität antun mag. muss jeder für sich entscheiden. In London glückte der Vierfach-Mutter jedenfalls ein musikalisch beeindruckendes Set, und ihre Stimme kann noch immer Tränen aus beinahe jedem Augenwinkel locken. Na, und aus der anderen Scheibe basteln wir uns für Weihnachten eben einfach einen prima Kerzenständer. Sela.