Rufus Wainwright :: Release The Stars
Man müsste mit betonierter Homophobie und Taubheit gestraft sein, um die Kunst des Rufus Wainwright nicht als monumental würdigen zu können. Doch diese Musik betört nicht bloß im groß Gedachten und Gemachten, in barockem Reichtum und melodramatischem Aplomb – Wainwright schafft auch Momente von feinster Gefühlsregung, seismischem Erfassen delikatester Emotionen. Auf „Want One“ und „Want Two“ hatte er seine Meisterschaft beinahe einschüchternd vorgeführt; nun wollte er mit „Release The Stars“ eine reduzierte Platte aufnehmen. Aus diesem Vorhaben ist natürlich nichts geworden.
Vielmehr dirigiert er ein Streicher-Ensemble, Chöre, Bläser, arrangiert seine Lieder mit verschwenderischer Grandezza und dem Gestus alter Musical-Grazie. Die Anmut von Judy Garland und die ausschweifende Hollywood-Herrlichkeit der Schwimmbassin-Operetten der Wassernixe Esther Williams sind nur zwei Referenzen im Kosmos des Rufus Wainwright, dessen Bühnenkunst die Platten bisher überragte.
Neil Tennant muss glücklich gewesen sein, neben Marcus de Vries als Produzent oder wenigstens Berater an den Aufnahmen teilnehmen zu dürfen. Bei „Between My Legs“ ahnt man, was die Pet Shop Boys aus dem frivolen Stück gemacht hätten – es übersteigt zwar deren Möglichkeiten, ist für Wainwright aber eine eher triviale Übung. „Do I Diappoint You“ dagegen setzt schon zu Beginn den gesamten plüschigen Bombast und fordert Wainwrights unverkennbaren Tenor. Noch besser ist „Going To A Town“, ein Abgesang auf die Heimat als persönliche Beleidigung: „I’m going to a town that has already been burnt down/ I’m going to a place that has already been disgraced/ I’m gonna see some folks who have already been let down/ I’m so tired of America.“ Mit politischem Lied als garstig‘ Lied würde dieser Idiosynkrat sich niemals abgeben. In „Tiergarten“ feiert er den Genius loci von Berlin, doch ist es vor allem ein Liebeslied für den Begehrten, mit dem er zur anderen Seite der Stadt gelangt, durch den Regen und die Steingärten und die wilden Blumen.
Es ist ergreifend und schmerzlich, wie Wainwright das elegische, sparsam, aber exquisit instrumentierte „I’m Not Ready For Love“ im höchsten Register singt, vergleichbar allenfalls mit Tim Buckley; wie er ironisch „Rules And Regulations“ bedenkt; wie er in „Slideshow“ zunächst dunkle, zweiflerische, schlichte Töne anschlägt, bevor das Lied spektakulär aufblüht. Wainwrights Songs wären auch überragend, kämen sie nicht in Seide und Tüll. Aber die Dichotomie von Sensibilität und Pomp fällt hier in eins, verwischt die Grenze zwischen Oper und Camp, Musical und Pop, Variete und Kunstlied. „Release The Stars“ enthält noch mehr Kabinettstücke: das dramatische, zickige Streicher- und Piano-Couplet „Tulsa“, das abgründigtraurige „Leaving For Paris“ und das überbordende, leichtsinnig tirilierende „Sanssouci“. Am Ende dieser Abenteuer des Herzens mag es einem gehen wie Neil Tennant: Immerhin durfte man staunender Zeuge sein.