3,0Johnny Cash The Sun Outtakes
Wieso „Get Rhythm“, „Big River“, „Rock Island Line“ oder der „Folsom Prison Blues“ jemals pauschal der Gattung Country Music zugeschlagen wurden, wird nur immer mehr erklärungsbedürftig, je länger man darüber nachzudenken beginnt. Für Ry Cooder jedenfalls, der von „Hey Porter“ für das Album „Into The Purple Valley“ eine faszinierende Interpretation aufnahm, war der junge Johnny Cash ein Archetyp der amerikanischen Populärmusik von durchaus vergleichbarem Rang wie die anderen Folk- und Blues-Idole auch, deren Musik er auf seinem ersten halben Dutzend LPs in ganz neuen Deutungen vorlegte, um sie dem Vergessen nachhaltig 2u entreißen. Dass er für sein Album „Get Rhythm“ nicht nur den gleichnamigen Cash-Klassiker, sondern auch Chuck-Berry- und Elvis-Songs aufnahm, hatte Logik.
Cash war nicht nur Zeitgenosse dieser Rock ’n‘ Roll-Idole, seine Musik war von ganz ähnlichem Geist inspiriert wie die der Rockabilly-Pioniere. Dabei wollte er zu Beginn seiner Sun- Ära und gegen Ende bekanntermaßen ja als Gospelsänger groß rauskommen. Das schmetterte Sam Phillips sofort ab, weil an aktuellerem und kommerziellem Liedgut interessiert, und als er 1958 dem längst zum Star avancierten Sänger immer noch nicht die von dem sehnlichst gewünschte Gospel-Produktion finanzieren mochte, kündigte der und wechselte die Firma, konnte allerdings nicht verhindern, dass noch jahrelang weiter Sun-Aufnahmen in die Single-Hitparaden kamen. Anders als im Fall Elvis und RCA hätte Columbia die vielen Aufnahmen, die noch unveröffentlicht im Archiv lagen, Phillips nicht um ein Linsengericht abkaufen können. Im Übrigen gab es von Cash-Aufnahmen nicht nur sogenannte final master, die weder auf Singles noch auf .Johnny Cash With His Hot And Blue Guitur“ (die erste LP von Sun Records überhaupt) erschienen waren, sondern auch wesentlich mehr Outtakes als von Elvis aus seiner Sun-Ära.
1990 hatte Bear Family Records auf Folge 1 der „The Man In Black“-Serie schon Etliches an solch rarem Material gebracht. Mit den 110 Aufnahmen dieses 3-CD-Sets sollen jetzt die Outtakes richtigkomplett vorliegen. Von den drei Songs (alle aus eigener Feder), die er gegen Ende 1954 solo im Sun-Studio aufnahm, ist „My Treasure“ der einzige in herkömmlichen Country-Verständnis, und jede der Variationen des „Folsom Prison Blues“ hier hat natürlich viel mehr mit „That’s All Right“ und Rockabilly zu tun als mit irgendwelcher Country Music. Das ist erst „Wide Open Road“, jetzt mit den Tennessee Two aufgenommen und ganz und gar Hank-Williams-Hommage. Wie hier zu hören, fielen bei der 40 Sekunden kürzeren Single-Fassung von „Cry Cry Cry“ vor allem die Beiträge von Luther Perkins unter den Schneidetisch. Sehr bedauerlich, dass von seiner „Rock And Roll Ruby“ nur dies klangtechnisch unbefriedigende Demo existiert. Das war nämlich ein weit fetzigeres Stück Rock’n’Roll als „Blue Suede Shoes“ vom Kollegen Carl Perkins!
Was Phillips unter kommerziell verstand, kann man anhand von „I Walk The Line“ und den verschiedenen Takes von „Get Rhythm“ im Vergleich studieren. Für die Single-Veröffentlichung ließ er anscheinend bei der Überspielung das Band etwas schneller laufen (wobei man sagen muss, dass solches specding up eine damals eh weithin übliche Praxis war)-oder erwählte im Zweifelfall eine Uptempo-Fassung aus den Takes aus.
Chronologisch in der Abfolge der Aufnahmen (soweit man das rekonstruieren konnte), präsentiert dies Set jenen Fans, die mit der Box von 1990 vertraut sind, wenig Überraschungen. Was man der Diskografie von Colin Escott allerdings als Kuriosität entnehmen kann: Ab 1957 scheinen Cash fe? Band weit weniger konzentriert zur Sache gegangen zu sein als in den Anfängen. Vielleicht war man mit der Zeit aber auch pingeliger und selbstkritischer geworden, so dass man es bisweilen erst nach einem Dutzend Takes bei einer Session gut sein ließ, (Bear Family Records)