V.I.P. s – The Complete V.I.P.s
In den frühen 60er Jahren pflegte Spencer Davis jedem Kollegen, der es hören wollte, zu empfehlen: „Don’t give up your day job!“ Auch ohne davon Kenntnis zu haben, hielt sich Mike Harnson schon daran, als er i960 im provinziellen Carlisle die Ramrods mitbegründete. Er träumte von großer Karriere in London, aber seinen Job als kaufmännischer Angestellter bei einer Exportfirma behielt er brav bei. Als sie erst einmal so erfahrene Profis waren, dass sie im Vorprogramm von renommierten lokalen Bands wie Joe Brown & The Bruwers, Eden Kane und Shane Fenton & The Fentones auftraten, kam langsam auch der Tag, an dem sie sich in The V.I.P.S umbenannten und von Kinks-Manager Larry Page unter Vertrag genommen wurden.
Die A-Seite der Debüt-Single war ein schlichtes Chuck Berry-(bzw. genauer „Little By Little“-) Plagiat, und der Sänger gibt in den Liner Notes auch unumwunden zu: „I think I was trying to do a Mick Jagger on that one! But it was populär in Europe and got to Number Two in France.“ Die B-Seite hält er heute für die bessere. Was man auch komisch finden kann. Die war nämlich ein gänzlich ungeniertes Beatles-Plagiat (von „I Saw Her Standing There“, auch die ersten Worte dieser ,,Eigen“-Komposition). Originell war auch nicht die Idee, danach den Don-Covay-Knaller „Mercy Mercy“ einzuspielen und damit einmal mehr an renommiertere Kollegen zu erinnern. „Wintertime“, von CBS unter dem Band-Namen The Vipps veröffentlicht, war als erste Aufnahme so produziert, dass Mike Harrison auch so wie nachmals in Spooky Tooth-Jahren klang. Die vierte Single, eine Cover-Version von Joe Tex‘ „I Wanna Be Free“, erschien bei ihrer mittlerweile vierten, dann aber auch definitiven Plattenfirma, nämlich Chris Blackwells Island Records, wo sie unter dem Band-Namen Art und als Spooky Tooth die folgenden veröffentlichen sollten.
Vom jamaikanischen Songschreiber Jackie Edwards, der schon für Steve Winwood und die Spencer Davis Group Vorlagen geliefert hatte, nahmen sie ein paar Singles auf, darunter „Back Into My Life Again“, von Produzent Jimmy Miller eine um einiges besseres Interpretation von „Straight Down To The Bottom“. Aber so richtigen Ehrgeiz entwickelten sie erstmals bei der fast siebenminütigen Einspielung von Howlin’Wolfs „Smokestack Lightning“. Da hatten sie schon – genauer gesagt: am 24. September 1966 – im Scotch of St.James-Club eine Jamsession mit dem gerade von Chas Chandler eingeflogenen Jimi Hendrix gespielt-und mangels Weitsicht das Angebot abgelehnt, dessen Begleitband zu werden. Laut Liner Notes aus Loyalität zu ihrem Leadgitarristen und dem Sänger. Denn für die wäre in irgendeiner von Chandler geplanten und von Hendrix geleiteten Experience eher kein Platz gewesen.
Greg Ridley erwies sich als Bereicherung für die Band, aber mit noch einer Cover-Version von „Stagger Lee“ und eher gewöhnlichem „Late Night Blues“ (eine Harrison/Ridley-Jamsession) war kaum Staat zu machen. Neben Hendrix wurden Bands wie Pink Floyd 1966/67 die Sensation der Stunde – nicht nur für Eingeweihten-Zirkel in Londons Clubs – und Psychedelia als Genre schwer angesagt. Weshalb man als nächsten den etwas hochtrabenden Namen Art wählte und Guy Stevens deren erstes und einziges, ziemlich verkanntes Album produzierte. Erst einmal in „Spökenzahn“ umbenannt, sollte das Elend definitiv ein Ende haben: Keine Hungerperioden mehr wochenlang in Kellern von Soho, sondern mit dem neuen amerikanischen Kollegen Gary Wright am Keyboard für die nächsten Jahre endlich auf erfolgreiche Karriere eingestimmt.
Diese Retrospektive enthält neben den kompletten frühen Aufnahmen auf der zweiten CD „I Wanna Be Free“ und „Smokestack Lightning“ in Stereo-Mixes, acht NDR-Mitschnitte von Ende Oktober 1966 (darunter den BusterBrown-Klassiker „Fannie Mae“ als Instrumental!) und zwei von Azetat-Anpressung transferierte, bislang nie veröffentlichte Aufnahmen. Also alles, was die Band je unter gleichklingenden Namen hinterließ. Das frühe Studiomaterial allerdings leider in überwiegend relativ unterirdischer Klangqualität. Da wäre, wie auch bei „Supernatural Fairy Tales“, doch mal ein erstklassiges Remastering angesagt gewesen.