Karen Dalton – In My Own Time
Wie das Bob Dylan sehr richtig schon früh formulierte, braucht es manchmal nicht viel, sein ganzes Leben den Bach runtergehen zu sehen und die Welt nur noch aus einem Loch im Boden zu betrachten. Am Ende hatte er „Only A Hobo“ auch über die Kollegin geschrieben, mit derer in ganz jungen Jahren mal im Village sang. Am Ende trafen auch auf Karen Dalton seine Verse zu: „Does it take much of a man… to wait for your future like a horse that’s gone lame/ To lie in the gutter and die with no name.“ Irgendwann soll sie 1993 auf den Straßen von New York als Junkie gestorben sein. Exakt dokumentiert ist das nicht. Da hatte sie ihre Zukunft allerdings auch schon sehr lange hinter sich, nämlich fast ein Vierteljahrhundert. Genaugenommen hatte sie nie eine gehabt.
Karen Dalton war alles andere als ein naives Talent. Sie kannte ihre Qualitäten durchaus. Sie versuchte nie auch nur im mindesten, wie irgendwer sonst als Sängerin zu klingen. Die immer wieder bemühten Vergleiche mit Billie Holiday, Nina Simone e tutti quanti waren nur der Versuch von Bewunderern und Kritikern, jemandem, der sie nie gehört hatte, eine ungefähre Vorstellung von dem zu vermitteln, was ihn bei ihren Aufnahmen erwartete. Sie in späteren Jahren als jemand dokumentiert zu sehen, der sich offenbar keinen Zahnarzt mehr leisten konnte, ist (auf der DVD einer Neuausgabe) doch eine leicht verstörende Erfahrung. Es gab ein paar Versuche, so etwas wie eine professionelle Karriere für sie in die Gänge zu bringen. Um so rätselhafter bleibt, wie sie es schaffte, ihr ganzes Leben gegen die Wand zu fahren.
Wie sie bei „I Love You More Than Words Can Say“ das Original (Otis Redding) nicht deutete, sondern sich zu eigen machte und komplett transzendierte, muss man gehört haben, um zu glauben, dass es so etwas geben kann. Aus dem Blues-Klassiker „It Hurts Me Too“ machte sie ein Stück Soul für die Ewigkeit. Unvergleichlich, wie ihr ganz selbstverständlich bei vermeintlichen Demos aus Songs wie „Little Bit Of Rain“, „In The Evening“ und „Ribbon Bow“ definitive Interpretationen gelangen. Nur in schon bezahlter, aber nicht in Anspruch genommener Studio-Zeit aufgenommen, war die gerade mal halbe Stunde von „It’s So Hard To Tell Who’s Going To Love You The Best“ (Megaphone/Import, (4)) , kommt mit der oben genannten DVD) eine Offenbarung, die aber einem kleinen Kenner-Zirkel vorbehalten blieb. Gut möglich, dass es Menschen gibt, die das hassen würden, was sie bei diesem Album hören, wenn sie den n je die Chance dazu hätten. Karen Dalton ist nicht nur ein acquired taste. Das war allemal unerhört, wie sie bei der von Fred Neil organisierten Session beiläufig mit allen Konventionen ihres Gewerbes brach. Sehr bedauerlich, dass sich für die Neuausgabe des Albums kein fachkundiger Toningenieur der Aufnahmen annahm, um die durch sorgfältiges Remastering klanglich entschieden aufzunorden. Das Erlebnis sollte man sich trotzdem nicht entgehen lassen.
Mit Liner Notes von Lenny Kaye und Nick Cave sowie einer Hymne von Devendra Banhart – erklärte Fans alle, die aber das Geheimnis dieser Stimme auch nicht erklären können oder wollen – ist die Neuausgabe ihres einzigen „richtig“ produzierten Albums „In My Own Time“ die um einiges zugänglichere Songkollektion, bei der man auch ein paar Dollar mehr in das Remastering investierte. Das Zitat aus Bob Dylans „Chronicles, Volume One“ fehlt selbstverständlich auch nicht (das berühmte Photo mit ihm und Fred Neil aus dem Gaslight schon, aber wenigstens sind die Ur-Liner Notes von Fred Neil fein reproduziert). Was für ein einzigartiges Sangestalent ihr geschenkt war, hört man bei ihrer Darbietung von Dino Valentis „Something On Your Mind“. Sie transzendiert auch komplett die Soul- und Country-Klassiker („When A Man Loves A Woman“, „Take Me“), deren sie sich da annahm. Im Fall von Richard Manuels „In A Station“ die Vorlage von The Band auch. Wer sich darüber grämt, dass sie Solomon Burke sein eigenes Lied stahl, den versöhnt sie dann doch (hoffentlich) mit ihrer lnterpretation von zwei Traditionals. „Katie Cruel“ und „Same Old Man“ sind Folk-Poesie für die Ewigkeit. Da wurde aber auch gar nichts „produziert“ , das passierte einfach. Nick Cave hängt sich so weit aus dem Fenster, über ihre Aufnahme des Dino-Valenti-Songs zu behaupten: „It’s just the most extraordinary vocal I’ve ever heard, I think.“
Leicht fassungslos muss man nach diesen späten Wiederveröffentlichungen aber auch konstatieren dürfen: Hat irgendwer sein Talent und Potenzial jemals weniger reumütig verschleudert als Karen Dalton?