Johnny Cash :: At San Quentin
Erweiterte Ausgabe des berühmten Konzerts mit DVD-Film
Unter den mehr als zwei Dutzend LPs, die Columbia im Lauf der 70er Jahre unter das Country-Volk brachte, waren so viele miserabel bis indiskutabel, dass man sich fragen darf, wie viel früher ihn die Firma schon gefeuert hätte, wären da nicht der spektakuläre Mitschnitt von 1969 aus dem berüchtigten Zuchthaus und das ein Jahr später noch einmal endlos Ambitionen dokumentierende „Hello I’m Johnny Cash“ gewesen. Mit dem Auftritt in San Quentin folgte er – einmal auf eine Goldader gestoßen – nur der Erfolgsformel, als die sich unerwartet das Knast-Gastspiel im Folsom Prison erwiesen hatte. Das war nicht sein erster, sondern mittlerweile schon vierter Besuch dort seit 1958, diesmal mit der kompletten Johnny Cash Revue, also die Carter Family mitschleppend, Carl Perkins alimentierend. die Statler Brothers für ausgesprochene Country-Nostalgiker und bigottes Volk geschickt ins Programm eingebaut, ausnahmsweise mal bis auf „Peace In The Valley“ nicht viel frömmelndes Liedgut aus seinem Mund und ansonsten im Ablauf der hart erarbeiteten Showbusiness-Routine folgend.
Die musste sein, denn normalerweise war der Star des Abends damals – auch beim Auftritt vor den Knackies im Zuchthaus von Folsom – so auf Drogen, dass die (beim San-Quentin-Konzert mittlerweile) Ehefrau June aus den Kulissen heftig besorgt zuschaute, ob und wie er die Show diesmal packen würde. Mit der Karriere des Mannes war es im Lauf der 60er Jahre schwer bergab gegangen. In Folsom waren die Lieder über Drogen, Armut und Knast, einen „Dirty Old Egg-Suckin‘ Dog“ und Sehnsucht nach „Green Green Grass Of Home“ bei den Sträflingen so gut angekommen, dass das Konzert vom Januar 1968 einen Wendepunkt markierte. 13 Monate später war nicht nur Bob Johnston mit professionellem Gerät in den oberen Etagen der (weniger bessernden als meistens hinrichtenden) Anstalt anwesend, sondern auch eine englische Film-Crew von Granada TV, die das diesmal auch optisch dokumentierte. Blöderweise hatten die verantwortlichen Columbia-Tontechniker nicht daran gedacht, zwei Bandmaschinen mitzunehmen, um die Show – und eine Show war das nun mal, egal was man manchmal an Exegesen über diese eindreiviertel Stunde währende Veranstaltung zu lesen bekommt – ohne Unterbrechung auch dann mitzuschneiden, wenn ein Tonband während eines Songs gerade zuende war. Ein paar fehlen hier deswegen.
Der Star des Abends war tatsächlich gut drauf bei der Gelegenheit, angeblich seit Jahren erstmals bei einem Konzert nicht auf Drogen. Sehr genau die Reaktionen seines Publikums registrierend, reagierte er seinerseits auf die damit, dass er (was er sonst nie getan hätte) den Song „San Quentin“ umgehend noch einmal vortrug. Nicht auszudenken, wie sich die Karriere von Johnny Cash entwickelt hätte, wäre den beiden Tonleuten nach Carl Perkins‘ Intermezzo mit „Restless“ und während des folgenden „A Boy Named Sue“ wieder mal das Band ausgegangen. Als erste Single aus der LP ausgekoppelt und millionenfach verkauft, dürfte das kaum jemand als Mörderballade missverstanden haben. Wenige Minuten später wollten sich diese provinzlerischen Statler Brothers mit dem neuen Glen-Campbell-Song „Less Of Me“ profilieren. Die fromme Botschaft kam bei den Knastbrüdern sehr gut an. (Nicht von ungefähr sind die heute echte Größen im amerikanischen Bibel-Fernsehen.) Nur hatten die Everly Brothers knapp ein Jahr zuvor auf ihrem Meisterwerk „Roots“ davon die unendlich bessere Interpretation geboten. Dass die Darbietung der Statler-Brüder hier erstmals zu hören ist, hat also schon seine Richtigkeit.
Das ist das so weit auf Band erhaltene und angesichts dessen noch machbar rekonstruierte Tondokument des Auftritts mit dem Granada Special als Zugabe. Komplett auch dort: „A Boy Named Sue“. Aber mono – und in einer Klangqualität, die wie die der ganzen (ansonsten gar nicht mal üblen!) Dokumentation mit dem Begriff historisch noch höflich umschrieben ist. Ein Hit wäre das so jedenfalls garantiert nie geworden.