Manic Street Preachers – Everything Must Go
Mit Richey Edwards waren sie eine wütende und ambitionierte Band, ohne Richey Edwards waren sie eine tragische und demütige Gruppe, Daraals wirkte es eher unwahrscheinlich, dass die Manic Steet Preachers noch einmal eine große Platte aufnehmen könnten, obwohl Richeys Beiträge sich ja auf überfrachtete und angelesene Songtexte beschränkten. Aber auch Nicky Wire hatte viele Bücher gelesen und schrieb flüssig den Hymnus „A Design For Life“ und so Herzbewegendes wie „No Surface All Feeling“, schon unter dem Eindruck des Verschwindens seines Freundes. Von Edwards waren einige Texte geblieben, „Kevin Carter“ insbesondere und „Small Black Flowers That Grow In The Sky“, die zwar noch deprimierender sind als Wires Lyrik, aber nicht emphatischer als dessen „Interiors (For Willem De Kooning)“ und „Australia“. „Elvis Impersonator: Blackpool Pier“ ist schwer erträglich in seiner Empathie – Edwards und Wire hatten diese Elegie auf einen sommerlichen Elvis-Doppelgänger im Badeort zusammen geschrieben. Der Song eröffnet das Album.
Zwölf Stücke später ist man kein besserer Mensch geworden, aber doch sehr ergriffen vom brodelnden Mitgefühl jener Männer, die ein paar Jahre zuvor „Generation Terrorists“ herausgebracht hatten. Hier streben alle Songs zum ganz großen Refrain, und James Dean Bradfields Gesang röhrt sich inbrünstig in die Rod-Stewart-Regionen, ohne den Kopf vollkommen zu überwältigen. Nur Liebeslieder alter Provenienz gibt es auf „Everything Must Go“ natürlich nicht. Es ist sozusagen alles Liebe und Leid angesichts der beschriebenen menschlichen Kalamitäten.
Tröstlich und leitartikelhaft war das 1996, und die britische Kritik liebte die Platte. Am gesamten Britpop vorbei stürmten die walisischen Burschen, die davon sangen, dass Bibliotheken uns Macht geben. „It’s so fucking funny, it’s absurd“: Rechtschaffene Empörung und präzise Beobachtung paarten sich mit dem Stolz der Arbeiterklasse. „We don’t talk about love/ We only want to get drunk“: Wir jungen Menschen wollten alle ein bisschen walisische Proleten sein. „I wish I had a bottle/Right here in my dirty face/ To wear the scars/ To show from where I came“: So etwas muss man erst mal schreiben. Es ist eine gloriose Musik, die den Zynismus qua schierer Wucht zerdeppert.
Die „10th Anniversary Edition“ – schon die zweite der Manics nach „The Holy Bible“ – enthält zwei CDs und eine DVD. Fast jeder Song ist mit einer Live-Version und mit akustischem Demo dokumentiert; auf der DVD sehen wir neben einer wahrhaft erschöpfenden Dokumentation auch allerlei Auftritte bei Jools Holland, bei den „Brit Awards“, in Reading. Und alle Videos der Singles. Einige nie gehörte Stücke sind außerdem enthalten, die den grundlegenden Pessimismus jener Phase untermauern: „Black Garden“, „Dead Trees And Traffic Islands“,, „No One Knows What It’s Like To Be Me“. Bravourös.