Pulp – His ‚N‘ Hers/ Different Class/ This Is Hardcore
Vom Ende her betrachtet, ist es es vollkommen einleuchtend, dass es Pulp nicht mehr gibt. Nur Kleinkrämer werden fragen, weshalb eine Gruppe elf Jahre daran arbeitet, erfolgreich zu werden, um in den folgenden acht Jahren alles dafür zu tun, wieder ein Nichts zu sein und auseinderzugehen.
Nichts auf den ersten vier Alben hatte einen auf „His ‚N‘ Hers“ (1994) vorbereitet, jenen überdrehten Reigen von Disco-Pop-Rummelplatz-Schlagern mit grellem Kitsch, Frauenchören, Rock-Gitarren und Farfisa-Orgel-Glorie. Pulp waren zuvor Scott-Walker-Epigonen, deren schwülstige Dramen, zumal in den Achtzigern, auf einem Independent-Label erschienen. Aber auch die Neunziger waren nicht die Zeit für „Lipgloss“ und „Acrylic Afternoons“, „Babies“ und „Do You Remember The First Time?“ und den spillerigen Provokateur Jarvis Cocker, der britischen Kitchen-sink-Sozialrealismus mit der Vision von einer glamourösen Arbeiterklasse verband, der Möglichkeit des Ausbruchs in die Drogen, die Kunst, den Pop, den Film. Exakt diesen Ausweg nahm er selbst. „Common People“, der exemplarische und berühmteste Song von Pulp, katapultierte „Different Class“ (1995, 5,0) an die Spitze der Bestenlisten und in die Charts. Es ist die bedeutendste Platte des Britpop, unendlich raffinierter als das tumbe Rabaukentum zu der Zeit. Cocker setzt hier die Maxime: „Please understand. We don’t want no trouble. We just want the right to be different.“ Dann feiert er in hymnischen Pop-Liedern wie „Mis-Shapes“ und „Disco 2000“ das Anderssein, die Erotik, den Voyeurismus, die Wonne von Eifersucht und Verlassenwerden und den Moment, in dem wir noch einmal jugendlich sind. „When we woke up that morning/ We had no chance of knowing/ That in a matter of hours we’d change the way we were going“, singt er in „Something Changed“. Ach, die Liebe – stets ist sie vergiftet.
Und so bittersüß wie in der „Live Bed Show“ und jauchzend wie in „I Spy“, und Cocker kiekst und jubiliert. Zwar kennt man einige der beigegebenen Stücke bereits von „Second Class“, aber ein paar Demos und die „Nick Cave Pub Rock Version“ von „Disco 2000“ machen auch die zweite CD hörenswert.
Drei Jahre brauchte die Band, um „This IsHardcore“ (1998, 5,0) nachzulegen. Die Single „Help The Aged“: ein Witz. Das Cover: ein Schock. Das Album: ein Abgesang. Jarvis Cocker singt über Abwasch, über Fernsehfilme, über Pornografie und Jesus. Er hat auch ein neues Motto: „Irony is over.“ Mit „Glory Days“ und „The Day After The Revolution“ verabschiedet er sich aus der Welt des schmuddeligen Glamour in die Hölle von Alltag, Trash und Sex. Er war ein Popstar, aber eben nicht Jesus, „though I have the same Initials“. In den zusätzlichen Songs – „Cocaine Socialism“ etwa oder „My Erection“ – hört man, wie hässlich Cockers Zynismus damals tatsächlich war. Kommerziell war die Platte ein Desaster.
Das Selbstmord-Album aber, die bukolische Scott-Walker-Platte wird leider nicht neuerlich veröffentlicht. „We Love Life“ beendete die Karriere von Pulp. Kein happy ending- ein road kill. Alles kaputt! Und eine schöne Leiche.