Tortoise – A Lazarus Taxon
Als 1994 das Tortoise-Debüt erschien, dauerte es nur wenige Monate, bis mit „Rhythms, Resolutions, And Clusters“ das erste Album mit Remixes der „Tortoise“-Stücke von Steve Albini, Jim O’Rourke und anderen folgte. Konsequent für eine Band, die sich so sehr der Ästhetik und Ökonomie der elektronischen Musik verpflichtet hat wie Tortoise, die die Unabgeschlossenheit ihrer Tracks immer betont hat. „Rhythms, Resolutions, And Clusters“ erweitert um einen verloren geglaubten Remix von Mike Watt – ist nun Teil der 3-CD-Box „A Lazarus Taxon“ mit ansonsten bisher weit verstreuten und raren Single- und EP-Tracks, Remixes, Sampler-Beiträgen etc. Zusätzlich gibt’s ein kleines Booklet, u.a. mit aufschlussreichem Begleittext von Alan Licht, und eine DVD mit Videos und Live-Material.
Der Remix – die Neumontage und Perspektivenverschiebung, das Öffnen für neue Elemente, das Einspielen zusätzlicher und Ausblenden alter Sounds – geht immer auch mit einer Rekontextualisierung des jeweiligen Stücks einher. Wenn ein Musikstück etwa vom Albumtrack zum Dance-Track oder zur künstlerischen Collage umgestaltet wird, vom Musikzimmer in die Disco, die Lounge oder die Ausstellung überführt wird. Dazu werden die Stücke auf einer Kompilation von Songs verschiedener Herkunft wie „A Lazarus Taxon“ aus ihrem originären Zusammenhang gerissen und erscheinen in anderem Licht.
Die eklektische Disc 1, die mit dem Tropicalia-Stück „Gamera“ beginnt und sich im weiteren Verlauf durch Drum & Bass, Industrial, eine Fusion-Version des Duke-Ellington-Stücks „Didjeridoo“, den Remix des Yo La Tengo-Songs „Autumn Sweater“, Blues, Ambient und Lounge spielt, stellt das gesamte Spektrum der Band aus, zeigt Brüche auf, legt Einflüsse frei. Disc 2 scheint all das – obwohl auch hier um Tracks aus allen Schaffensphasen der Band vertreten sind – zu einem Soundstrom zu kanalisieren, der fast ein bisschen an das grandiose „Millions Now Living Will Never Die“ erinnert.
Wenn man dann noch die spröde Mischung aus Drum & Bass-Sounds, Elektronik, Noise und HipHop von „Rhythms, Resolutions, And Clusters“ auf der dritten Platte und die Videos zwischen Kunst und Live-Dokumentation auf der DVD dazunimmt, gibt „A Lazarus Taxon“ einen neuen, anregenden Blick auf Tortoise. Man kann sich dieser vielseitigen Band, die seit zwölf Jahren fern aller Genregrenzen spielt, den Werkcharakter ihres Schaffens immer wieder verneint hat, indem sie die eigenen Stücke in Frage stellte, zur Dekonstruktion freigab, die immer eher am Weiterentwicklungen interessiert war als an der Schaffung eines definitiven Meisterwerks, noch einmal von einer anderen Seite nähern.
Der selbstironische Titel der Box spielt übrigens auf den Lazarus-Effekt an, darunter versteht man die Wiederentdeckung von Tierarten, die als ausgestorben galten. Wer die Evolution des Tortoise-Sounds nachvollziehen will, für den ist dieser Fund eine essenzielle Quelle. (