Gram Parsons

The Complete Reprise Sessions

Warner

Die späten Jahre des frühvollendeten Songschreibers.

Er war einer von vielen, die in dem frommen Wahn lebten, sie hätten ihre Sucht im Griff. Aber natürlich hatte die ihn stramm am Wickel. Diese Lieder von den Louvin Brothers über Sünde und Erlösung hielt Gram Parsons auch schon immer für ganz toll. Aus der biblischen Aussage, dass im Himmel mehr Freude aufkommt über einen einzigen reuigen Sünder als über 99 Gerechte, zog er für sich persönlich dann doch keine Konsequenzen. Das berühmte „The Angels Rejoiced Last Night“ der Louvin-Brüder nahm er während der „Grievous Angel“-Sessions auch auf, mochte das aber dann doch nicht auf der zweiten und letzten Solo-LP veröffentlicht wissen. Die erschien posthum ohne dieses fromme Lied. Was seine Sangespartnerin Emmylou Harris immer sehr bedauerte. Die hielt das nämlich für die wunderbarste Aufnahme der ganzen Platte überhaupt. Als A & M die Jahre später zusammen mit anderen „Grievous Angel“-Outtakes (den Everly Brothers-Klassikern „Brand New Heartache“ und „Sleepless Nights“) in Lizenz auf einer Flying Burrito Brothers-Nachlese veröffentlichte und nach letzterem Song benannte, schrieb sie dafür Liner Notes.

Ob jemand diesen verwöhnten Sohn reicher Eltern wirklich ganz furchtbar und schmerzlich vermisste, als er sich am 19. September 1973 aus dieser Welt verabschiedete, kann man auch ein wenig in Zweifel stellen. Selbst enge Bekannte und Freunde waren ob der euphorischen Stimmung während der Arbeit zum zweiten Album von seinem Tod überrascht, auch Keith Richards, den die Nachricht damals doch etwas schockierte. Der letzte Song auf der Platte, deren Veröffentlichung er nicht mehr erlebte, war sein hymnisches „In My Hour Of Darkness“ gewesen mit so autobiografischen Versen wie „Another young man safely strummed his silver string guitar/And he played to people everywhere/ Some say he was a Star/ But he was just a country boy/ His simple songs confess/And the music he had in him/So very few posses.“ Wenige Wochen später war er dann tot. Wenn stimmt, was Jason Walker in seiner Biografie „God’s Own Singer“ erzählt, waren Gram Parsons‘ letzte Worte: „I’ll be OK. I just need to rest.“

Man hatte das aus frühen Songs während der Anfänge mit der International Submarine Band schon ernst nehmen dürfen. In „Luxury Liner“ bekannte er damals: „I’ve been a lone lost soul for a long long time“ – und dass er zum Geschlecht der Einsamen gehöre. Was er dann mit „Do You Know How It Feels To Be Lonesome?“ vertiefte. Ganz das heartbreak kid war er auch schon bei „Knee Deep In The Blues“, das aber erst – ein Outtake der „Safe At Home“-Sessions – viele Jahre später veröffentlicht wurde. Die Zeit mit den Byrds und Flying Burrito Brothers als Lehr-und Wanderjahre in einem Schaffen zu betrachten, die ihren krönenden Höhepunkt im Meisterwerk „Grievous Angel“ fanden (was Produzent James Austin in seinen Liner Notes als Sichtweise vorschlägt), ist dann doch etwas abwegig. Dank seiner mit Chris Hillman und Chris Ethridge geschriebenen Songs ist „The Gilded Palace Of Sin“ bis heute eines dieser einsamen Debüt-Meisterwerke, wie man sie einem so verwöhnten Fratz für gewöhnlich eher nicht zutrauen würde. Aber da hatte damals in Chris Hillman einen kongenialen Partner auf ganzer Höhe seiner Schreiberkunst. Der kommerzielle Misserfolg konnte Selbstbewusstsein und Kreativität nicht im mindesten beschädigen. Erst einmal gefeuert, aber ein Glückspilz, dem man von dieser völlig unbekannten Sängerin Emmylou Harris erzählte, schaffte GP es, die von ihren etwas holprigen Folk-Wegen auf ganz neuen Kurs einzustimmen. Ohne ihn als höchst einfühlsamen Pygmalion hätte die Dame sonst womöglich immer weiter etwas zickig intonierend ihre Volkslieder vorgetragen. Wie er es schaffte, sie zur Country-Sängerin umzumodeln, erzählt sie selber zwischendurch in den Liner Notes zu den „Complete Reprise Sessions“. Sie waren Gram Parsons‘ definitives Vermächtnis.

Der gründlichste Oberblick über und die beste Einführung in sein Werk ist immer noch die vor fünf Jahren vorgelegte „Sacred Hearts & Fallen Angels“-Anthologie. Von cleverer Beutelschneiderei kann trotzdem im Fall dieses neuen 3-CD-Sets keine Rede sein. Die einzigen Live-Dokumente der letzten Solo-Jahre sind zwar nur die bei Rundfunkauftritten erzählten Anekdoten und spontan gesungene Darbietungen von „Love Hurts“ und „Sin City“. Aber die Zugaben zu den noch mal in besseren Überspielungen zu hörenden beiden LPs (der Titelsong „Return Of The Grievous Angel“ dabei im längeren und viel besseren Ur-Mix als dieser Remix auf „Anthology“!) sind natürlich die 18 Sessions-Outtakes einschließlich der drei schon genannten und bekannten. Erst kürzlich entdeckt und für dies Projekt fertig abgemischt, besitzen die live-im-Studio musizierten Stücke eine ganz wunderbare Spontaneität, die höchst eindrucksvoll vermitteln, mit wieviel Spaß die Profis da zur Sache gingen. Der

Tonmann von Merle Haggard hatte am Mischpult alles voll im Griff. Proben-Charakter hatte da gelegentlich so etwas wie „We’ll Sweep Out The Ashes In The Morning“. Und so ganz mag man James Burton nicht beipflichten, der in den Liner Notes schlankweg behauptet, die Outtakes seien alle besser als die final master.