Nigel Kennedy
Blue Note Sessions
Der violinenvirtuose frönt jetzt seiner Jazz-Leidenschaft
Das hat man nicht gewusst: Nigel Kennedy, von Beruf Violinenvirtuose und enfant terrible, wollte eigentlich Jazzer werden, nicht Klassiker. Damals schon, in der Menuhin School of Music, seien all die fest gezurrten Noten eine Zumutung gewesen für den wilden Nigel, heißt es, und man glaubt das sofort so viel überbordende Energie kann sich in den engen Korsetts der Hochkultur freilich nur schlecht entladen. Raus aus der Partitur! Dort wartet die Freiheit.
Der Zwang zur relativen Notentreue hat der Welt immerhin die meist verkaufteste Platte in der Geschichte der klassischen Musik gebracht (Vivaldis „Vier Jahreszeiten“) und insgesamt einen überaus begabten Freak, der in einer lahmen Branche immer mal schön für Aufregung sorgt.
Nach diversen Kollaborationen nun also die Vergangenheitsbewältigung. Auf dem ehrwürdigen EMI-Sublabel Blue Note erscheinen die „Blue Note Sessions“, eine Sammlung von Fremd- und Eigenkompositionen, die Kennedy gleich mit einer ganzen Reihe arrivierter bis legendärer Jazz-Musiker aufnahm. Bassist Ron Carter und Schlagzeuger Jack Dejohnette durften bereits bei Miles Davis spielen, Kenny Werner bei Charles Mingus und John Abercrombie.
Man wundert sich zunächst darüber, wie herkömmlich diese praktisch ausschließlich Instrumentalenpieces wirken; Kennedy und sein illustres Team spielen
ganz amerikanischen Jazz, der den Boden des Standards weit seltener verlässt, als zu erwarten war. Nur einmal am Ende wird es ganz frei und bloß noch assoziativ, dann wimmert die Geige ins Ewige. Anderswo grenzen die Changes an Fusion und Jazz Rock, einmal geht sogar dessen Latin-Variante. Doch insgesamt ist das hier ein sehr gepflegter und dezenter New Yorker Jazz Club mit roten Backsteinwänden und Tischlämpchen – selbst Kennedys viele Soli machen sich nur gelegentlich wichtig.
Eigentlich gereicht das dem Künstler zur Ehre: eine uneitle Platte aus Liebe zur gediegenen Harmonie, zum zeitlosen Ensemble-Spiel und akkurat entworfenen Standard. Keine Freakshow. (BLUENOTE)