Janis Martin – The Outtakes, Plus
Bear Family Records ist die verdienstvolle deutsche Plattenfirma, bei der man sich nicht geniert, einer „Greatest Hits“-Retrospektive von Connie Francis allen Ernstes den Titel „Connie Rocks“ zu geben. Kritiker Dave Marsh war da ganz anderer Meinung und stellte angesichts einer Best-Of-LP die rhetorisch gemeinte Frage: „What’s less funky than a Connie Francis movie?“ Andererseits hat niemand sonst das Schaffen von Ricky Nelson und Johnny Cash, Jimmie Rodgers und Everly Brothers, Jerry Lee Lewis und Nat Cole, den Sängerinnen der Rockabilly-Ära, Dean Martin und anderen Größen der amerikanischen Populärmusik des vergangenen Jahrhunderts profunder dokumentiert als besagte Firma. Preisen muss man sie auch für Veröffentlichungen wie die des Schaffens von Janis Martin. Die hatte RCA 1956 der Branchenpresse mit dem Etikett „The female Elvis Presley“ präsentiert, und mit „Will You, Willyum“ tauchte sie auch als neues Sangestalent des Jahres in der „Coming Up Strong“-Hitparade von „Billboard“ auf.
Aber anders als Wanda Jackson schaffte sie es dann aus unerfindlichen Gründen im eigenen Land nie in die Hitparade. Rätselhaft deswegen, weil die Plattenfirma das kompetenteste Personal für ihre Sessions aufbot: Chet Atkins und Steve Sholes (Produzenten, A&R) und Cracks wie Buddy Harman, Floyd Cramer, denselben ehester B. „Chet“ Atkins und die Jordanaires unter anderen als Begleitmusiker. Gleich die erste Session am 8. März erbrachte neben besagtem Song Rockabilly-Klassiker wie „Drugstore Rock’n’Roll“ und „Let’s Elope Baby“. Auch und insbesondere Letzterer hatte für ihre Karriere eine ähnliche Initialzündung sein können wie „Maybellene“ für Chuck Berry. Einfach umwerfend gelang ihr auch „Love And Kisses“ (deswegen hier gleich zwei famose Outtakes desselben Songs), von dessen Hit-Potenzial Sholes restlos überzeugt war. Mit 13 hatte sie schon bei Country-Shows Rhythm & Blues-Songs (Favoriten: Ruth Brown und LaVern Baker) gesungen. Mit 15 absolvierte sie ihre erste RCA-Session. Von ihrem ersten Royalty-Scheck kaufte sie sich – was sonst?- einen Cadillac. (Nicht zu Hause, sehr wohl aber in Kanada hatte sie den verdienten Top-Hit.) Als die letzten Sessions 1958 – jetzt war sie schon 18! – immer noch keine Hit-Single für den US-Markt abwarfen, war ihre RCA-Karriere beendet, und die Bänder verschwanden in den Tiefen des Archivs. Konserviert allerdings in makelloser Qualität – dafür ist RCA ja sattsam bekannt. Weshalb es auch kein Kunststück war, das gute Dutzend Final Masters wie auch die Outtakes – manchmal einschließlich der False Starts – in identischer, sprich ganz süperber Klangqualität zu präsentieren. (Die RCA-Profis mischten diese Aufnahmen damals locker mindestens so gut ab wie die von Elvis!) Bevor sie durch puren Zufall wiederentdeckt wurden, zahlten Sammler zwischenzeitlich Fabelpreise für diese Aufnahmen. Wie der Titel klar signalisiert, ist das hier nicht die definitive Best-Of-Retrospektive der Rockabilly-Legende. Bei Bear Family wollte man sicher die eigene Werkschau „The Female Elvis – Complete Recordings 1956 -1960“ nicht entwerten. „Cry Guitar“, „Squeeze Me“, „Blues Keep Calling“ und ein paar andere Aufnahmen fehlen hier. Eine vorbehaltlos zu empfehlende Ergänzung zu dieser CD sind die „Outtakes, Plus“ aber jederzeit.