Another five years after: Tool werfen erneut gewaltige Schatten.

Allein Menschen dabei zu beobachten, wie sie die Verpackung auseinanderklappen. Wenn sie entdecken, wie sie die Brille benutzen sollen und eingesaugt werden von den 3D-Grafiken. Fünf Jahre sind seit Tools letztem Album „Lateralus“ vergangen. Auch ihre fünfte ist eine dunkle, kompromisslose, brillant produzierte Platte – atmosphärisch entrückt, technisch bestechend, stilistisch maßgebend. 46 Sekunden dauert es, da rast „Vicarious“ durch die Nacht und zerschellt nach über sieben Minuten an „Jambi“, einem in sich verschobenen Achtminutenklotz aus Verzweiflung, Liebe und viel zu eingängigen Melodien. Das allein würde reichen.

Aber mit einer millimeterweiten Raumöffnung im Sound, vereinzelten Bekennerschreiben zu den Metal-Mathematikern Meshugga und farblicher Nähe zu Pink Floyd gehen Tool noch einen Schritt weiter. Die beiden jeweils zweigeteilten Epen „Wings For Marie (Pt. I)“/“ 10000 Days (Wings Pt. II)“ sowie „Lost Keys (Blame Hofmann)“/“Rosetta Stoned“ sind grenzenlose, perfekt inszenierte Mammutwerke. Aus Trauerglocken und Bassfeedbacks wachsen Täler und Berge empor, bis Sänger Maynard James Keenan auf ein an allen Ecken brennendes Schlachtfeld blickt, während die Band jeden Zentimeter abscannt und nichts wiederholt.

Keenan vergleicht Tool seit Jahren mit dem psychedelischen Kriegsfilm „Apocalypse Now“. aber erst jetzt fordert er im Titeltrack: „It’s time now! My time now! Give me my wings!“, bevor sich diese sonst perfektionistische Band einem Jam hingibt, der Felle beugt, Saiten biegt, bis es nicht mehr weiter geht. Das ist nur eines von 1000 Kapiteln dieses Albums. Mehr als ein Jahr arbeiteten Tool an „10.000 Days“, schossen viel Geld in Produktion und Artwork und gaben ihren Emotionen ungewohnt stark nach.

Mit ihrem schlüssigsten Werk werden Tool trotz der Konsequenz ihrer alternativen Wege die Musikwelt wieder ein wenig auf den Kopf stellen und nebenbei, bei ihren kurzen, aber gewaltigen Gastspielen in den Charts, beweisen: Es ist möglich. Es geht anders. Der künstlerische Selbstmord eines Menschen ist nicht die Bedingung für Erfolg. Die spürbare Dringlichkeit ihres Anliegens rechtfertigt, der Kloß im Hals beweist: Wir brauchen einen Wertediskurs in der Musik.