Davy Graham – Folk, Blues & Beyond

Man muß nur ein paar Takte in seine Cover-Version von Leadbellys „Leavin‘ Blues“ reinhören und kann gar nicht überhören, wie dieser Gitarrist Jimmy Page und die Ausflüge von Led Zeppelin in Folk-Territorium inspirierte. Beeinflußt hat er sie sowieso alle, Richard Thompson, Bert Jansch, Martin Carthy, Donovan und natürlich jeden Kollegen, der sich irgendwann mal an seinem „Angi“ versuchte. Und das waren sehr viele. Auch Paul Simon, der nach England gekommen war, um originale Folk Music-Kultur zu schlürfen und das dann wie Jackson C. Francks „Blues Run The Game“ auch unbedingt aufnehmen mußte.

Dabei war Graham überhaupt kein Folk-Purist. sondern das genaue Gegenteil. Auf einer frühen EP davor erklärte Alexis Korner dem Käufer, daß Graham unter anderem von Miles Davis, Charles Mingus und Jimmy Giuffre beeinflußt sei. Der normale Folk-Fan hätte da eigentlich passen müssen. Spätestens dann zumindest, wenn er in den Liner Notes zu dessen zweiter LP lesen durfte, daß er nicht nur die üblichen Verdächtigen (Ramblin‘ Jack Elliott, Leadbelly, Robert Johnson, diesen Newcomer Bob Dylan usw.) zu seinen Idolen zähle, sondern auch Charlie Parker, Thelonius Monk, besagten Mingus – und Rimsky-Korssakoff! Nicht zu vergessen arabische und persische Folklore, wie „Majaan (A Taste of Tangier)“ bezeugt. Mittelbar beeinflußte er so übrigens auch die Yardbirds. Was er sich bei einem frühen Ramblin‘ Jack Elliott-Auftritt von „Cocaine“ gemerkt hatte und dann für „Folk, Blues & Beyond“ einspielte, war entschieden nicht die definitive Deutung des Reverend Gary Davis-Songs. Was er an Blues-Klassikern dafür aufnahm („My Babe“, „Rock Me Baby“, auch Blind Willie Johnsons „I Can’t Keep From Crying Sometimes“), übernahmen aber viele Kollegen umgehend in ihr Standard-Repertoire. Charles Mingus‘ „Better Git In Your Soul“ eher nicht. Aber er machte das von ihm adaptierte „Black Is The Colour Of My True Love’s Hair“ populär. Aus seiner Deutung von „She Moved Through The Fair“ (einer von fünf Bonus-Tracks der CD) machte Jimmy Page im letzten Yardbirds-Jahr dann „White Summer“. Ziemlich notengetreu, wie jeder sofort hört, der die bis heute von Epic bzw. Sony Music nie für CD freigegebene „Live Yardbirds!“-LP von 1968 kennt. Graham selber hatte aus einer John-Lee-Hooker-Vorlage das Marathon-Blues-Instrumental „Davy’s Train Blues“ gemacht, das nachzuspielen Kollegen reichlichen üben durften – wie das mit Alexis Korner im Duett musizierten „3/4 A. D.“ auch. Beide ebenfalls wie „Angi“ Zugaben auf der CD.

Was der einmal in den Restaurants und Kaschemmen von Tanger auf den Geschmack (Marihuana etc.) gekommene Gitarrist ein Jahr später mit der Folk-Chanteuse Shirley Collins für „Folk Roots & New Routes“ (4) aufnahm, ist noch heute eine Hörerfahrung der etwas anderen Art. Puristischer konnte man die oft berühmten Traditionals („“Nottamun Town“, „Reynardine“ usw.) gar nicht singen, als das Miss Collins da tat. Wenn sich später eine Sandy Denny solches Material vornahm, klang ihre Deutung vergleichsweise nachgerade sinnlich bis unkeusch! Nur ließ der Gitarrist dort jederzeit virtuos mit einfließen, was er von seinen Jazz-Platten, Reisen nach Arabien und in der Beschäftigung mit Klassik gelernt hatte. Ein konventioneller Folk-Musikant wurde er auch in Gesellschaft mit dieser Sängerin nicht, schon gar nicht bei den Soli hier. Die spielte er so ungeniert, daß die Dame auch öfter länger auf ihren Einsatz bis zur nächsten Strophe warten durfte! Und das, wo sie doch eigentlich der größte Graswurzel-Folkie von allen sein wollte. Gewidmet ist diese Remaster-Edition dem Andenken an Gus Dudgeon, der damals bei Decca am Mischpult saß.

Die Neuausgabe des 1966 erschienenen „Midnight Man“ (2) zitiert Bert Jansch mit dem Bekenntnis: „To this day Davy Graham is my absolute hero – always has been.“ Diese spezielle Platte kann er damit nicht meinen, denn die war leider eine gewöhnungsbedürftige Mixtur aus Originalkompositionen und Cover-Versionen arg schwächelnd bei der Beatles-Vorlage („I’m Looking Through You“) bis ehrgeizig auftrumpfend bei einer von Lab Schifrin („The Fakir“). Mit den Colosseum-Mannen Dick Heckstall-Smith und Jon Hisemann sowie Danny Thompson an Kontrabaß und Harold McNair an Flöte aufgenommen, war „Large As Life And Twice As Natural“ (4) dagegen wiederum ein sehr munteres Experiment. „Both Sides Now“ als Folkjazzrock, sehr jazzig auch der „Bad Boy Blues“, keine Folk-Nostalgie bei „Bruton Town“, das das alles – auch der „Good Morning Blues“ – dank Gus Dudgeon klangliche Delikatessen! Ein waghalsiger und instruktiver Spagat zwischen Lenny Tristano, Fred McDowell und dem, was er für „Jenra“ in Marokko gelernt hatte.

Was er alles so „kann“, durfte man auch bei der fünften“Solo“-LP „Hat“ (3) bewundern, etwa dem wieder mit Danny Thompson jazzig aufgepeppten „Down Along The Cove“, demgegenüber Dylans Originalaufnahme vergleichsweise ausgesprochen ausgeschlafen souverän klingt. Aber neben prima Material wie „Pretty Polly“ klingen die Cover-Versionen von Beatles- oder Simon & Garfunkel-Vorlagen dann doch wenig mehr als… „gekonnt“. Erfreulich allemal, daß seine wichtigen Platten endlich wieder exzellent remastered auf CD zu haben sind.

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