The Everly Brothers

The Outtakes

Bear Family Records

Eine Sammlung alternativer Takes von Songs aus den Studio-Sessions.

Mal was Neues: Kein verschollenes Album, das jemand im Archiv wiederentdeckte und das nun den Nachruhm einer Band mehrt; auch kein „Hits & Misses‘-Verschnitt aus populären und obskuren Werken eines mehr oder minder namhaften Interpreten, sondern ausschließlich unveröffentlichte Alternativ-Versionen berühmter Songs, die man dann doch nicht als final master deklarierte, neudeutsch: Outtakes. Aufnahmen also, wie sie der Rolling Stones-Fan auf so exquisiten Sammlungen wie „Beggars Banquet Outtakes“, „Sticky Fingers Alternate Album“ und „Taxile On Main St.“ gern hört. Zumal es sich da nicht um Demos oder belanglose Instrumental-Backings handelt, die oft als Füller-Material bei Box-Sets dienen, sondern fertige Mixes letztlich verworfener Versionen, gleichwohl bemerkenswert inspirierte.

Weil es in den 50er Jahren diese doofe „We’ll fix it in the mix!“-Praxis der Multitrack-Ära noch nicht gab und allenfalls Studiotechniker unter Verwendung von Rasierklingen (!) mittels sogenanntem „blutigem Schnitt“ aus verschiedenen Fassungen die endgültige montierten, ließ man bei den Sessions von Little Richard, Elvis, Buddy Hollv, Gene Vincent und Rock’n’Rollern der ersten Stunde im allgemeinen bei den bisweilen Dutzenden live-im-Studio musizierten Takes die Bandmaschinen einfach weiterlaufen. Und anders als bei EMI an der Abbey Road oder bei der BBC üblich löschte man die Bänder mit den nicht verwendeten Autnahmen nicht aus purem Kostenbewußtsein oder Geiz, um sie neuerlich zu verwenden. Die wanderten ins Archiv! Und so wie Mark Lewisohn später alle Sessions der Beatles in seinem denkwürdigen Wälzer dokumentierte, kümmerte sich der Fan Club der Everly Brothers darum, daß alle von Archie Bleyer jemals anberaumten Sessions der Brüder für die Nachwelt schriftlich festgehalten wurden.

Minuziös aufgelistet von Richard Weize, findet man hier die komplette Discographie ihrer Cadence-Aufnahmen. Rares Material hatte er schon für das „Classic Everly Brothers“-Box Set ausgegraben. Bei den 34 Aufnahmen dieser neuen Kollektion handelt es sich ausschließlich um unveröffentlichte Takes – allerdings in sorgfältig getroffener Auswahl und nicht gnadenlos aufeinander folgend alle noch erhaltenen wie bei den Box-Sets von Elmore James, Yardbirds und ähnlichen. Von „Take A Message To Mary“ also „nur“ Take 7 und nicht auch die restlichen 18, die sie neben der bekannten Single-Version auch aufnahmen! Manche davon sind das, was die Liner Notes als „diamonds in the rough“ bezeichnen, etwa der allererste Take von „Bye Bye Love“, bei dem der Toningenieur noch nicht die perfekte Balance für den Mono-Mix gefunden hatte. Was hier ein ums andere Mal fasziniert: Selbst die ursprünglich nur für eine LP aufgenommenen Songs wie ihre Version von Ray Charles‘ „Leave My Woman Alone“ hatten praktisch alle Hit-Potential. Und Bleyer wie auch der immer den Gang der Dinge im Kontrollraum argwöhnisch überwachende Musikverleger Wesley Rose standen oft vor der Qual, wenn es um die Entscheidung für die Veröffentlichung auf der nächsten Single ging. Den Einstand mit der allein in USA mehr als vier Millionen verkauften Debüt-Single „Bye Bye Love“ zu übertreffen, war so einfach dann doch nicht, gelang ihnen aber trotzdem mit ,A11 I Have To Do Is Dream“ (hier als Take 5 zu hören) und „Wake Up Little Susie“ (hier im „Unplugged“-Take 1 ohne die fürs Arrangement doch so wichtigen E-Gitarren). Für alle, die ihre „Songs Our Dddify Taught Us „-LP lieben, gibt es hier acht Alternativ-Fassungen jener hoffnungslos sentimentalen und altmodischen Lieder wie „I’m Here To Gct My Baby Out Of Jail“ und „Who’s Gonna Shoe Your Pretty Little Feet“, mit denen das Album zum kompletten Flop wurde. „Kentucky“ mit dem ganz anderen Gitarren-Intro ist hier Take 7. Studio-Cracks wie Floyd Cramer, Buddy Harman und Chet Atkins leisteten sich damals natürlich keine Patzer. Verwunderlich immer noch, in welch fabelhafter Klangqualität diese Aufnahmen nach all den Jahrzehnten erhalten sind.