Placebo

Meds

Virgin/EMI

Zurück zur Molkos Kernkompetenz: Glamour, Tränen und Gitarrenpop

Plötzlich fühlt man sich so gewöhnlich. Um dieser Band gerecht zu werden, sollte man jetzt vor Erleichterung mindestens kotzen, besser noch ein paar Cocktails trinken und dazu ordentlich Drogen nehmen, dann auf dem Teppich rumkriechen und den Kopf gegen die Wand schlagen. Stattdessen leise Freude. Placebo haben endlich wieder ein großartiges Album aufgenommen. Ihr fünftes in zwölf Jahren, das dritte richtig gute – und je nachdem, wen man fragt, haben sie nur acht Wochen oder vier Monate dafür gebraucht.

Wie das schon losgeht. Mit Einsamkeit, Verwirrung und der immer wiederkehrenden Frage: „Baby, did you forget to take your Meds?“ Da ist er, unser liebster Brian Molko! So was kann er wie kein Anderer: Mit dieser leidenden, schnarrenden Stimme von einem Leben singen, das mit unserem gar nichts zu tun hat. Bei Molko gibt es keinen Alltag, es gibt nur Glamour, Party und Liebe – und danach immer Trauer, Kater und Unfälle. Seit einiger Zeit liegt der Schwerpunkt auf diesem „Danach“, bei Placebo wird eigentlich ständig gelitten. Das Herrliche ist aber: Es klingt gar nicht so! Bei „Infra-Red“ kommt schon wieder die Ambulanz, aber die Melodie, die sie ankündigt, ist dermaßen eingängig, daß man sich gern mitnehmen läßt.

Es gibt fast nur Hits auf „Meds“, und das liegt natürlich an der perfekten Liaison zwischen diesem recht einfachen, aber unsagbar effektiven Gitarrenpop und Molkos fieser Art zu singen. Er mag inzwischen Haarausfall haben, doch er klingt immer noch so sexy und gleichzeitig so traurig – faszinierend irritierend, genau wie die Texte. Bei der Ballade „Follow The Cops Back Home“ kommen neben der tollen Krankheit „psychedelic yuppie flu“ und Apartheid auch Jimmy-Choo-Schuhe vor – die Geschwindigkeit scheint immer weiter abzunehmen, Molko wiederholt die Titelzeile bis ins Unendliche, es wirkt fast wie Hypnose. Im Anschluß noch mehr Psycho-Rock: „Post Blue“ flirrt und wummert, es ist etwas im Wasser, vermutet Molko, und dann wieder: Sex, Drogen, Blut. Das ist nichts Neues? Stimmt, aber es ist so verdammt gut gemacht, und sonst traut sich das ja kaum einer in dieser Intensität. Die 8oer Jahre sind seit 16 Jahren vorbei, aber Molko vergleicht sich mit „Pierrot The Clown“. Das ist doch Chuzpe.

Natürlich hat so eine Band auch illustre Gäste. W von The Kills singt beim Titelsong mit, Bloc Party remixen die erste Single „Because I Want You“, ausgerechnet einer der schwächeren, weil zu vorhersehbaren Songs. Ganz anders „Broken Promise“, das fängt sehr zart an, Michael Stipe erzählen von Leben und Lernen. Dann setzt die Band mit Wucht ein, Stipe hält sich eher monoton im Hintergrund, und zusammen mit dem Gegreine seines Freundes hört sich das fast gruselig an.

„The back of the class is where I was/ Keeping quiet playing dumb“, singt Molko im bezeichnenden „One Of A Kind'“. „I’m in a crowd and I’m still alone/ Can’t you see the skies are breaking/ Cause one of a kind is all I own.“ Ein kleiner Mensch, allein unter vielen, ein ganz besonderer, aber keiner scheint’s zu merken. Wer sich noch nie so gefühlt hat, wird Placebo nicht verstehen.