Kristallwelt

„Kristallwelt“ von J.G. Ballard ist kühle und mit einigem erzählerischem Kalkül inszenierte, sprachlich grandios durchgearbeitete Drogenliteratur, die das Horror- und SciFi-Trüffelschwein Joachim Körber einmal mehr instinktsicher wiederausgegraben und dann auch gleich noch einmal neu übersetzt hat. Der moribunde Lepra-Arzt Dr. Sanders sucht im tropischen Regenwald seine Ex-Geliebte, die mit ihrem Mann geflüchtet ist, weil sie sich angesteckt hat. Ausgerechnet dort kommt es zu einer physikalischen Anomalie (aber nicht nur dort, auch in Kalifornien und Rußland breitet sich das Phänomen aus): Der Wald kristallisiert nach und nach, wird zu einer irisierend schönen, quasi-metaphysischen Eislandschaft. Neben der Zellstruktur verändern sich nämlich auch das zeitliche Kontinuum und somit alle Gewißheiten der Moderne. Sanders liefert eine entsprechend abstruse Erklärung für diesen offenbar irreparablen Transformationsprozeß, und wer die versteht, der möge sich bitte melden, der kriegt zehn Euro von der Redaktion! Die meisten Menschen flüchten vor der sich ausbreitenden kristallinen Ewigkeit, aber für Ballards abgründig-proteische Hauptfiguren, Aussätzige in mehr als einem Sinne, bietet der Wald die paradiesische Verheißung, das schmerzlose Glück in versteinerter Unvergänglichkeit. Das läßt sich vielfältig lesen: als Parabel auf die Tranzendenz des Drogengebrauchs, als zivilisationskritisches Endzeitszenario, aber eben nicht zuletzt auch als feingeschliffenes, suggestiv funkelndes Stück phantastischer Literatur. (12,90 Euro)

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