Franz Ferdinand – You Could Have It So Much Better…
Was ewig bleiben wird von dieser Band: der trockene, gemeinschaftliche Orgasmus an der Stelle, wo der erste Teil des Songs „Take Me Out“ in den zweiten übergeht. Wenn das Lied sich rasend entzündet und die Tänze losgehen.
Wer nicht erlebt hat, was bei einer Disco oder im Konzert an dieser Stelle mit den Leuten passiert, wird auch nie ganz verstehen, warum Franz Ferdinand 2004 ein solcher Blitzschlag ‚waren. Vorausgesetzt, man sieht sie in der Liste großer Gitarrengruppen neben den Smiths, Pixies, Nirvana und Oasis (und es gibt beste Gründe, sie dort zu sehen): Ferdinand sind die einzigen, die einen rausziehen aus dem Kämmerchen, die uneingeschränkt Lebenslust und soziale Energie suggerieren, fast -wie Techno-Künstler. Musik, die man nicht allein hören soll. Um den alten Kalauer ein letztes Mal zu bemühen: Musik, die Mädchen zum Tanzen bringt.
Jetzt dürfen sie auch weinen zu Franz Ferdinand – spektakulärste Neuerung auf der zweiten Platte: Es gibt Lieder ohne Schlagzeug! Und, mit Schlagzeug, „Walk Away“, das wie am Klavier komponiert klingt, als sei plötzlich im White Russian die Milch sauer geworden. Alex Kapranos, schon immer ein leicht dramatischer Mann, singt: „I love the sound of you walking away“, daß die Erde sich nicht auftun und keine Statue weinen wird, wenn die Frau geht, und natürlich meint er das Gegenteil. Eine Beat-Ballade wie ein zerbrechlicher Schokoladenkeks, mit Tamburin, Akustik-Gitarre, trotzdem mit einem Band-typischen großer-böser-Wolf-Riff. Für manches Mauerblümchen vielleicht der erste liebenswerte Ferdinand-Song überhaupt.
Damit ist es offiziell: Sie sind kein Gimmick. Klar hat „You Could Have It So Much Better…“ zum Großteil die bewährten Schuldisco-Haifisch-Hämmer, die mit zwei Gitarren harsch gespielten Variationen über das James-Bond-Thema, den indestructible beat aufstampfender Stiefel, den scharf gescheitelten Gesang. Diese Lieder werfen sich einem mit angefeuchteten Lippen an den Hals, und sagen dann, wenn man zugreifen will: Pfoten weg! Wie toll sich das immer wieder anfühlt, merkt man so richtig nach einem Jahr voller Ferdinand-Nachfolgebands: „Do You Want To“ ist ein Starkstromgebürsteter Tanz-Klassiker, „Evil And A Heathen“ und „You’re The Reason I’m Leaving“ haben eine Boshaftigkeit, die noch im dunkelsten Death-Disco-Loch alle glücklich machen wird, und so weiter. Man merkt allerdings, wie sie die besten Stücke instinktiv an den Anfang der 41-Minuten-Platte gestellt haben.
Absolute Höhepunkte sind dann freilich die ruhigen Sachen, weil man die von Franz Ferdinand nicht kannte. „Eleanor, Put Your Boots On“, mit Porzellan-Piano und – tatsächlich – einem Mundharmonika-Solo, ist Kapranos‘ Sternstunde als mißtrauischer Chansonnier, offenbar der Sängerin der Fiery Furnaces gewidmet, ein Regenspaziergang durch New York mitsamt Besteigung der Lady Liberty, der „statue with the dictionary“. Klingt wie „White Album“-Beatles. Komplett zerbrochen, am Ende: „Fade Together“, ein nebliger Walzer aus der letzten Ecke der Echokammer. Was für eine Ungerechtigkeit, daß bei Franz Ferdinand auch Melancholie und Pathos tausendfach rührender sind als bei den entsprechenden Spezialisten. Mit dieser fantastischen Platte bereiten Franz Ferdinand uns schonend darauf vor: Es kann nicht immer Disco sein. Wenn selbst die das sagen, erschrickt man ein wenig.