Westernhagen – Nahaufnahme
Wie die Menge zuckte. Wie der Zeremonienmeister gestenreich den kollektiven Orgasmus anheizte, verzögerte, forcierte, der Band einen immer noch schwitzigeren Groove abtrotzte, wie er „Freiheit“ und „Sexy“, „Laß‘ uns leben“ und Johnny W.“ gockelte: groß, bei allem Kalkül. Jemandem, der so archaische Erlebnisse bescherte, dem vergibt man nicht Nicht, daß er nach „Hallelujah“ (’89) und“Live“(‚9O) den Cappuccino wohl zu oft mit ahnungslosen Schulterklopfern aus Sport und Politik im Cafe Größenwahn einnahm und Repetitives wie „JaJa“, Prahlerisches wie „Affentheater“ verzapfte. Nicht sein letztes Werk „In den Wahnsinn“, vor allem das nicht Laut, vulgär, naiv, wie auf Viagra. Habe mein Exemplar damals einem guten Bekannten geschenkt, der Kontakt ist abgerissen.
Nun Nahaufnahme „. Soll signalisieren: Rückbesinnung, die „persönlichsten Lieder der Karriere“, ohne Maske und so. Aber so trist wie das Booklet mit Lagerfeld-Cover ist das ganze Album. Viele Lieder im traurigen, melodiefreien Schlurfgang, („Schweig stille“), selbstmitleidig („Mann mit dem Hang zur Perfektion, Mann mit dem Anspruch auf den Thron, versuch dich zu erinnern“, „Eins“), unfaßbar schmalzig („Willst du tanzen“), jaulig („Alles ist möglich“). Oder sie bohren politisch das dünnste Brett („Ignoranz“, ganz schlimm). Die Texte tun bedeutungsvoll, aber kein frischer Gedanke, Wörter zerrieben an 1000 Jahren Schlagern und glanzlos, die Metaphern banal oder sie halten dem zweiten Blick nicht stand. „Solange wir noch leben, uns Luft zum Atmen bleibt, laßt uns nach Höherem streben, es ist der Helden Zeit“, frömmelt der Ikarus am Ende. Die Sonne war so rot und zu heiß. Jammervoll wie er sich nun spreizt, ohne Federn, am Boden. Ikarus, nicht Phönix.