The Chris Stamey Experience – A Question Of Temperature
Chris Stamey hat offenbar und verständlicherweise Nachholbedarf in eigener Sache. Mehr als zehn Jahre hatte sich der Mann, der Anfang der 80er mit den dB’s anglophilen US-Pop definierte, in sein Modern-Recording-Studio in Chapel Hill, North Carolina zurückgezogen, um mal mehr, mal weniger hinter den Kulissen für Whiskeytown, Alejandro Escovedo, Caitlin Cary, Thad Cockrell und viele andere zu wirken. Bis im vergangenen Frühsommer plötzlich sein „Travels In The South“ auftauchte.
Das famose Comeback war kaum veröffentlicht, da zog es Stamey schon wieder spielend und singend ins Studio, diesmal allerdings nach Hoboken, New Jersey. Denn unter dem ebenso klassischen wie auch leicht Furcht erregenden Pseudonym Experience traten für ganze drei Studio-Tage die Lokalmatadore Yo La Tengo an seine Seite. Das riecht nach Cover-Schnellschuss meets Jam-Session? Ja, tut es. Aber dabei keine Spur komisch. Und die ganze Wahrheit ist das ja auch längst noch nicht.
Okay, ein paar Cover zum Warmspielen. So darf man „Shapes Of Things“ (Yardbirds) und „Politician“ (Jack Bruce/ Cream) heute bringen, respektvoll, aber mit eigener Verve. Den alten Polit-Klassiker „Compared To What“, zuletzt u.a. von Blueser Lucky Peterson bearbeitet, drehen sie mit viel Drive auch ganz schön durch die Mangel, während Tift Merritts Country-Elegie „Plainest Thing“ wohl zeitlich einfach noch etwas zu nah am Original ist Die gelungenste Adaption gelingt Stamey/La Tengo aber mit „Venus“, wenn sie die Verlainsche Neurose des frühen Television-Schmuckstücks in sanften Pop-Romantizismus hüllen.
Auf die große Jam-Session müssen Interessierte bis Track zehn warten. Und auch das stimmt so nicht ganz. Denn das gut zehnminütige „McCauley Street (Let’s Go Downtown)“ baut im Grunde auf klassische Song-Architektur, erzählt von Henry Kissinger, den Dubliners und der einsamen Candy, nimmt sich zwischendurch aber Zeit und Raum für einen ausladenden Spielrausch-Feedback-Trip, der gleichwohl integriert wirkt.
Dazwischen und danach: Stamey-Qualität zwischen Garagen-Instrumental („Come On“), Space-Rock(„Sleepless Nights“), Bluegrass-Abstecher („Dr. Strangelove’s Assistant“ mit Chatham County Line) und Basis-Rock’n’Roll („Desperate Man“).
Chris Stamey hat wahrlich keinen Grund zu verzweifeln. Und eine Frage der Temperatur ist das auch nicht. Denn dieses Album ist oft cool und fiebrig zugleich.