Kettcar – Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen
Da kriegen die versammelten Kultusminister einen Schrecken: Das also sind Kettcar aus Hamburg, die Band, die ihre Studenten so gerne hören. Eine der deutschen Gruppen, die auf einem unabhängigen Label am meisten Platten verkaufen. Für den Kultusminister klingen Kettcar wie: starke Überschreitung der Regelstudienzeit, vier Mahnungen für den Semesterbeitrag. Wenn er diese Platte hört, auf der die Wörter „nicht“, „nichts“ und „nie“ insgesamt 50-mal gesungen werden (was viel ist, dabei habe ich „kein“ nicht mal mitgezählt), denkt der Personalchef: hohe Fehlzeiten, mangelhafte Begeisterungsfähigkeit beim Betriebsausflug in den Warner-Brothers-Moviepark.
Der Musikfreund sagt wahrscheinlich: langweilig.
Kettcar sind die ehemaligen Punks, die wohl lange glaubten, die Welt umwerfen zu können, und davon müde wurden. Sie sind die, die mit Mitte 30 auf den koketten Leitsatz des „Neon“-Heftes mit der Gegenfrage antworten würden. „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ – Kettcar: „Unbedingt, aber warum ist das nur so schwer?“ In der Zeitung stand neulich, dass die Leute keine Kinder mehr zeugen, weil sie selbst Kinder bleiben wollen, das Peter-Pan-Syndrom. Und Kettcar sind eine der ganz wenigen Bands, die davon erzählen, wie sich der scheiternde Kampf gegen dieses Syndrom anfühlt.
„Nur weil man es nicht besser kennt, ist es nicht egal“, singt der traurige Taps Marcus Wiebusch in „Deiche“, einem Song über deutschen Sozialabbau, einer lediargischen Agit-Nummer, die von ihrer eigenen Nutzlosigkeit handelt „Die Ausfahrt zum Haus deiner Eltern“ verpasst er immer wieder, vor Nervosität und leisem Unwillen, sich vom Vater der Geliebten zum Ritter schlagen zu lassen. Mit ihrer zweiten Platte beweisen Kettcar auch, dass Indie-Rock längst Spießer-Rock ist, für Spießer mit Strokes-Frisuren halt: Man kann von Coldplay bis Jimmy Eat World alles darin hören, freilich nichts, was nur in die Nähe eines Hits käme, so wie auch Sänger Wiebusch die Sätze am liebsten abbricht und ein Zitat aus „Fight Club“ oder „Das Leben des Brian“ hinterhernuschelt Dass sie bei „Stockhausen, Bill Gates und ich“ ihre Hänger-Lyrik von einem niedlich übermotivierten Kinderchor mitsingen lassen, ist ein schöner Kunstgriff. Dabei spielt das Lied in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl.
„Unser Leben kein Irrtum/ Kein Hallo an alle/Jeder mag jeden/ Meinetwegen“ – so banal so romantisch ist das. Und so triumphieren Kettcar über das Unglück, indem sie es in ihre Sprache fassen. Bei Licht betrachtet:
Phrasen, mittlerer Rock. Aber es ist ja eher dunkel hier unten.