Elvis Costello Almost Blue/Goodbye Cruel World/Koiak Variety
Im Jahr 1980 reiste Elvis nach Nashville, um einige seiner alten Idole zu treffen, Songs zu singen und zu lernen, wie man in der Hauptstadt der Country Music Platten produziert. Die Attractions begleiteten ihn, der renommierte Profi Billy Sherrill nahm die Lieder von Gram Parsons und Don Gibson, Merle Haggard und Charlie Rich schließlich zwischen Golf-Club und Motor-Yacht auf, wie Elvis sich in den Liner Notes wundert.
Der britische maverick traf Johnny Cash und George Jones, durfte – kläglich – neben beiden singen (die Songs erschienen dann nicht auf („Almost Blue“) und trank sehr viel Alkohol, vornehmlich Gin: „I was trying to get rid the world of alcohol by drinking it.“ Ein Session-Musiker bediente sich aus einer Thermosflasche bei etwas, das Elvis für schwarzen Kaffee hielt – am Ende des Tages bemerkte er, dass es sich um Whisky handelte. Die Leistungen wurden davon angeblich nicht affiziert.
Costello war unglücklich, er hatte Liebeskummer, fühlte sich schuldig (und hatte Schuld). So kam es, dass „Almost Blue“ dem Titel spottet: ein Bad in Larmoyanz! Was die 27 zusätzlichen Tracks, darunter jene Songs mit Jones und Cash, in fast quälender Konsequenz belegen. Einzige vorauseilende Skizze ist „Tears Before Bedtime“, das später auf „Imperial Bedroom“ erschien. Weil Elvis‘ Kumpel und Produzent Nick Lowe mit Roseanne Cash verheiratet war, wurden die Gäste durch das Reich des großen Johnny geführt, das er bis zu seinem Tod bewohnte. Eine von vielen herrlichen Episoden von Tolpatschigkeit, Ungenügen und Altklugheit aus dem Aufsatz im Booklet. Costello beobachtete mit großen Augen das seltsame Land (und die offensichtlich noch seltsamere Country-Szene).
Ein kluger Kollege will mir ständig einreden, die Aufnahmen von “ Goodbye Cruel World“ (4,5) seien dated. Sie erschienen im Sommer 1984. Ich liebte diese Stücke, und ich liebte die Art, wie Clive Langer und Alan Winstanley – bei ihrem letzten Job für Elvis – die Lieder arrangiert und produziert hatten. Wem das heute als dated erscheint, der sollte mal andere Platten des Jahrgangs hören.
Elvis schüttere, wenn auch stets ergreifende Demos legen außerdem nahe, dass die Songs weit von der Vollendung entfernt waren – „The Only Flame In Town“, „Home Truth“, „Inch By Inch“, „Worthless Things“ bedurften offensichtlich der Bearbeitung. Noch immer weiß Elvis nicht genau, worum es in in diesen faszinierenden Stücken geht. Aber dass „Peace In Our Time“ heute so berückend, ätzend und bitter wie damals ist, hat auch er gemerkt. Jede Menge Skizzen, außerdem tolle Versionen von „Baby It’s You“ mit Lowe, „Tomorrow’s Just Another Day“ mit Madness und „Turning The Town Red“.
Elvis mag die Platte bekanntlich nicht mehr und gibt unter anderem dem Synthesizer DX7 die Schuld, der damals der letzte Schrei war. Alles hat seine Zeit, und welche Popmusik wäre 1984 geglückter, glücklich machender gewesen?
Im Sommer 1995 fehlte so eine Platte. Die Cover-Versionen auf „Kojak Variety“(2,5) hatten so wenig Feuer, wie sie beim Rezensenten entfachten. Elvis singt entfernte Lieblingslieder, die er mit niemandem teilt eher gewöhnliche Stücke von Willie Dixon, Mose Allison Jesse Winchester, Burt Bacharach, Ray Davies und Randy Newman. Trank er wieder? Es spielen immerhin Larry Knechtel, James Burton, Marc Ribot, Jim Keltner und Jerry Scheff, doch auch sie können diese akademischen Darbietungen nicht so recht in Schwung bringen.
Dylans anrührendes „I Threw It All Away“, bei Elvis langweilig genäselt, wurde ein Jahr später von Scott Walker als grandioses Drama von Reue und Verzweiflung mit strahlendem Gesang gedeutet. Und gefällt Costello von allen brillanten Randy-Newman-Liedern ausgerechnet das Frühwerk „I Don’t Want To Hear It Anymore“?
Als Zugaben auf der zweiten CD singt Elvis weitere Songs von Tom Waits, Dan Penn, Springsteen, Lennon/McCartney, George und Ira Gershwin sowie Van Morrison („Full Force Gale“). Man kann zwar nicht behaupten, dass sie Costello besonders gut liegen oder dass er ihnen etwas hinzufugen würde. Aber er hat es mal getan.
Nun ist das Archiv bald leer. Aber vorher kommt noch der „King Of America“ – undatiert und zeitlos!