Brian Wilson – Presents: Smile
Da ist es nun also: das genialischste, legendärste, größte, schlauste, schrägste, abgefahrenste, verrückteste, schönste, elaborierteste Album der Popgeschichte. Was war es denn jetzt eigentlich, was „Smile“ diese monolithische Aura verlieh? War es die Musik oder die Tatsache, dass diese uns nie wirklich erreichte (zumindest nicht als fertiges Album)?
„Smile“, das sind vor allem die Geschichten, die vom Scheitern des größten Genies der Popmusik handelten – von den chaotischen Sessions, den Feuerwehrhelmen, dem doofen Mike Love, vom Zusammenbruch des missverstandenen, depressiven, schizophrenen, großen Kindes Brian Wilson. „Smile“ ist viel mehr als ein Pop-Album „Smile“ ist ein Mythos. Jetzt allerdings gibt es „Smile“, das Album. Das kann dem Mythos ja eigentlich nur schaden.
Viele der Stücke kennt man natürlich bereits von späteren Beach Boys-Alben wie „Smiley Smile“, 20/20″ oder „Surf’s Up“. Vergleicht man die für diese Alben jeweils neu eingespielten Versionen der Stücke mit denen von einschlägigen „Smile“-Bootlegs (oder den „Smile“-Aufnahmen, die es auf die „Good Vibrations“-Box schafften), scheinen sie bei aller Brillanz doch einiges vom Zauber der ursprünglichen Aufnahmen eingebüßt zu haben. Es scheint, als hätten sie in den dazwischen liegenden Jahren ihre Unschuld verloren. Auf dem vorliegenden Album wurden alle Stücke nun noch einmal von Wilsons Tourband neu aufgenommen, Übergänge und Versatzstücke finden in dieser Performance endlich zusammen, die fehlenden Parts wurden dazukomponiert und (von Van Dyke Parks) dazugedichtet. Zunächst muss man sich von in der Popmusikrezeption nicht selten wichtigen Kategorien wie „Authentizität“, „Autor“ und „Aura“ lösen. Der Brian Wilson von heute ist nicht mehr der Brian Wilson von 1967 (nicht nur, weil sich da eine große Last auf seine Stimme gelegt zu haben scheint), die Beach Boys wurden durch eine – wie man so sagt – „versierte“ Coverband ersetzt (die naturgemäß nicht ganz so jenseitige Harmonien hinbekommt), das damals mühselige Gefrickel und Gebastel gehört dank digitaler Studiotechnik der Vergangenheit an, das „Innovationspotenzial“ von „Smile 1966/67“ ist 38 Jahre später nur noch (Pop-)Geschichte. Außerdem handelt es sich bei der Neuaufnahme nicht um die ursprünglich geplante Version von „Smile“, sondern um eine Konzeption, die im Hinblick auf die Bühnenshows der letzten Monate sinnvoll erschien. „Smile“ wurde also mit Hilfe des Tourband-Leaders Darian Sahanaja vollendet Ein Indiz mehr dafür, dass man es als ein quasi klassisches Werk begreifen muss, das wie das bei Werken anderer klassischer Komponisten ebenfalls regelmäßig der Fall ist – in seiner Neuauffühung auch neu interpretiert wird. Ein „Smile“ -Original gibt es genauso wenig, wie es ein Original von „Die Zauberflöte“ gibt Um das vorliegende „Smile“ als Neueinspielung enes klassischen Stückes beurteilen zu können, müssten wir uns daher eigentlich sowohl vom (unvollendeten) Bootleg und (weitaus schwierigen) Mythos lösen.
Jede Menge Vorüberlegungen und Bedenken also – doch man kann sich der Magie dieser Musik nicht entziehen: wie hier die Motive gesetzt sind, das des zentralen „Heroes And Villains“ immer wieder auftaucht, wie die Harmonien ineinandergreifen, die hingetupften Impressionismen von Van Dyke Parks mal bezaubern, mal ratlos zurücklassen.
Die wohl schon in den 60ern intendierte Unterteilung in die drei Sätze „Americana“, „Childhood“ und „Elements“ wurde beibehalten, „Do You Like Worms“ heißt nun „Roll Plymouth Rock“ (und beinhaltet den „Bicyle Rider“-Part von „Heroes And Villains“, den man von Bootlegs kennt), „Good Vibrations“ steht in einer neuen Version, bei der der Vergleich mit dem Original naturgemäß am meisten schmerzt, am Ende.
Trotzdem ist „Smile“ ein Meisterwerk, ist die schönste, atemberaubendste Popsymphonie, die sich, bis dieses Album endlich vorlag, nicht einmal denken ließ. Man wünscht sich noch viele Neueinspielungen. Als Interpreten würde sich der Autor das Brodsky Quartet, die Flaming Lips und die Libertines wünschen.