Vic Chesnutt – Little/West Of Rome/Drunk/Is The Actor Happy?

In a tattered little town filled with tattered little people there was a tattered little singer who sang tattered songs…“Was wie ein seltsames Märchen klingt, sind Michael Stipes Erinnerungen an seinen alten Freund Vic Chesnutt. Ende der 80er Jahre sprach Stipe den Kollegen an, weil er gar nicht anders konnte: Diese Songs mussten aufgenommen werden, und zwar bevor sich Chesnutt zu Tode trinken würde. Er nahm ihn mit in John Keanes kleines Studio, das Debüt „Little“ (1990) wurde an einem einzigen Tag im Oktober 1988 eingespielt.

Das sagt schon vieles über das Talent Chesnutts, der nicht richtig Gitarre spielen kann, aber so viel beeindruckender klingt als all die Lauten. Der nicht richtig singen kann, einen aber zum Weinen bringen kann mit einer Zeile. Einem Wort Ein Segen, dass er trotzdem so viele Worte hat, so viele Geschichten. Von der Kindheit mit „Speed Racer“ bis zum „Independence Day“. Fünf Bonustracks ergeben jetzt endlich das komplette Bild dieses Tages, der Chesnutts Leben veränderte (und verlängerte).

Stipe mag als „Produzent“ von „Little“ und „West Of Rome“ (4,5, 1992) gelten, aber sein Verdienst ist nicht der karge Sound, sondern die Entdeckung an sich. Er hatte Chesnutts Fähigkeit erkannt, aus wenig ganz viel zu machen, durch Zurückhaltung noch mehr Intensität zu erreichen. „West Of Rome“ hat die präziseren Songs, sei es die Hommage an „Lucinda Williams„, das todtraurige „Sponge“ oder „Stupid Preoccupations“, das die hohe Kunst der Selbstbezichtigung perfektioniert.

Chesnutt ist ein Meister der Ironie, aber niemals nimmt man ihm die Boshaftigkeit ab, man hört immer ein kleines, resigniertes Lächeln: „You know I’m a terrible patient/I am barely alive/ Ever since my daddy died/ I’ve been searching for my own little babies/ To misbehave and betray me.“ Das nächste Stück ist „Panic Pure“. Die acht Bonustracks sind fast mehr, als man ertragen kann, aber für „Dying Young“ lohnt es sich doch, durchzuhalten und einfach zwischendurch tief durchzuatmen, wenn einen Chesnutts Stimme zu sehr angreift.

„Drunk“ (4, 1993) erscheint nun endlich mit dem Clowns-Cover, das Chesnutt eigentlich wollte. Die Songs bleiben die selben wunderbaren. Der brutale Witz von „When I Ran Off And Left Her“, der Gram von „Supernatural“, die kranken Klagen von „Gluefoot“ – das würde einen schon bei einem geringeren Sänger fertigmachen, bei Chesnutts Greinen und Zürnen haut es einen um. Und man steht lange nicht mehr auf.

Hier gibt es gleich neun Bonusstücke, etliche bisher unveröffentlicht – darunter Dylans „I Dreamed I Saw St. Augustine“ und eine frühe Version von „Gravity Of The Situation“, das später auf „Is The Actor Happy?“ (4,5, 1995) noch Fahrt gewann, aber eigentlich in jeder Fassung die Quintessenz von Chesnutts Werk ist: „The gravity of the Situation came on us like a bit of new knowledge.“ Bis heute weiß ich nicht genau, was da überhaupt passiert ist Aber man spürt den Schmerz, körperlich.

Michael Stipe singt bei „Guilty By Association“ mit, ein allzu wahrer Song, wie Chesnutt gern zugab: Er war langsam die ständigen Verweise auf R.E.M. leid und kam ganz gut alleine zurecht, vielen Dank. Auch wenn mancher Schlaumeier die etwas geschliffenere Produktion beklagte: Chesnutts viertem Album fehlte es keineswegs an schmerzhaften Kanten und dem gewohnten Mut zur Verzweiflung. „Tree of hope/ Free of a past/ Thank you god for nothing/ I’m free at last“

Und da er doch nicht gestorben ist, lebt Vic Chesnutt noch heute. Manchmal soll er sogar fast ein bisschen glücklich sein, ist zu hören. Dafür darf man wahrlich schon dankbar sein.

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