Sonic Youth – Sonic Nurse
Blöd gefragt: Was macht eine Band wie Sonic Youth, die keine Singles mehr herausbringt eigentlich mit ihren B-Seiten? Sie haben ein eigenes Studio, nehmen angeblich jede Jam-Session auf, da muss es Stücke geben, die zu schade zum Wegwerfen sind, aber zu vorläufig für ein Album. Sicher denken Sonic Youth gar nicht in Nutzwerten – ihr Werk macht rückblickend den Eindruck, als wollten sie das Publikum vor allem am Arbeits- und Entwicklungsprozess der Band teilhaben lassen. Wie in vielen anderen Biografien findet man dort wenig schroffe Brüche, viel Fluss und Rangieren. Den Pop-Appeal der letzten, fantastischen Platte „Murray Street“ von 2002 hatten ihre notorisch lauten Lieder in den Achtzigern jedenfalls auch schon. Oft halt nur in der letzten, kurzen Minute.
„Sonic Nurse“, meiner Zählung nach das 16. Album, bekräftigt noch einmal den transparenten, wasserklaren, harmoniesüchtigen Klang von „Murray Street“, nun gewöhnen sich die Ohren daran. Die Produktionsarbeit des großen New Yorker Punks Richard Hell sticht ebenso wenig heraus wie mutmaßliche Beiträge des jüngsten Bandmitglieds Jim O‘ Rourke (laut Credits zuständig für „good times“). Die Band scheint zwischen den Liedern zu schlafen, manchmal quieken die Gitarren noch wie kleine Robben, wie früher, meistens verspinnen sie sich ineinander, blühen auseinander hervor wie in einem folkloristischen Chorsatz oder eben wie bei Richard Hells Ex-Gruppe Television. Die Souveränität der späten Sonic Youth liegt darin, dass man das Experimentelle nicht mehr automatisch an Dissonanz und Kakophonie erkennt In den langen, unverzerrt instrumentalen Passagen suchen Thurston Moore und Lee Ranaldo instinktiv nach Melodien, wie Folkmusiker sie spielen, oder nach der sanften, freundlichen Monotonie des Space-Rock.
Einige von Kim Gordons Stücken wirken in diesem Zusammenhang als völlige Verirrungen, am schlimmsten das mit verschmiertem Lippenstift zu white noise genörgelte „Kim Gordon And the Arthur Doyle Hand Cream“ (auf den ersten Tracklists noch mit „Mariah Carey…“ betitelt). Gordon nervt, im Gegenzug langweilen die anderen: Die über 60 Minuten haben brillante Momente, aber die andere Hälfte ist in letzter Konsequenz öder Indie-Rock, meinetwegen eine Standortbestimmung, B-Seiten für später. In dem Gebiet in dem sich Sonic Youth nun bewegen, müssen sie auch gute Songs schreiben. Und das kann zum Beispiel Stephen Malkmus wesentlich besser als sie.