Bob Dylan :: Live 1964: The Philharmonic Hall Concert
Zwischendurch erinnerte er sich mal nicht an den Text, den er für einen neuen, noch nicht aufgenommenen Song geschrieben hatte. „But I mean no harm nor put fault/ On anyone that lives in a vault“, lauteten die Vferse am Ende. Aber an dem Abend sang Dylan: „But I mean no fault“ – stoppte etwas verlegen, dann, off-mike: „…nor put fault“. Schließlich „On him that lives in the vault“. Erinnerte sich danach aber wieder und sang: „But it’s alright, Ma, if I can’t please him.“
Das war auch ein episches Lied, neun Minuten „It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)“. Eines von drei neuen, die wenig später auf der akustischen Seite von „Bringing It All Back Home“ auftauchen sollten. Ein wortgewaltiges Songpoem wie „Mr. Tambourine Man“ und „Gates Of Eden“. Die Verse „But even the president of the United States sometimes has got to stand naked“ änderte er später um in „…must have to stand naked“. War da noch ein work in progress. Ist das bis heute geblieben.
Der andere Lapsus, gleich zu Beginn von „I Don’t Believe You“, war keiner. Er spielte ein wenig mit diesem Publikum, das ihn offenkundig abgöttisch verehrte und jeden seiner mal auf Platte veröffentlichten Reime kannte. In diesem Fall ließ er sich von ihm zum Schein auf die Sprünge helfen, kannte natürlich alle Verse. Die ergebenen Fans, die an dem Abend die Philharmonie im Lincoln Center füllten, kannten sogar das nie auf Platte veröffentlichte „Who Killed Davey Moore?“ auswendig. Dylan war Gott für sie, keine Legende, die zu bestaunen man gekommen war, sondern der Mann, der auch unschöne Wahrheiten in Liedern poetisch verdichtet zu formulieren verstand. Wie im „Talkin‘ John Birch Society Paranoid Blues“ (derselbe Song wie „I Shall Be Free“, ganz anderer Text). Den hatte er im Fernsehen in Ed Sullivans Show nicht singen, für seine Plattenfirma nicht aufnehmen dürfen. An dem Abend kündigte er ihn ironisch als eine „fictitious story“ an. Was das Publikum genauso amüsierte wie seine folgenden Ausführungen über die überall lauernde „rote Gefahr“, von der Rechtsradikale in dem Land bis heute faseln. Von freier Erfindung konnte keine Rede sein.
Das erste Set endete, wie das zweite nach der Pause begann: mit einem politischen Lied („A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ resp. „Talking World War III Blues“), und das Publikum lauschte andächtig. Auch die anderen Songs, wie „With God On Our Side“, empfand es nicht als garstig. Er ließ das in seine Träume, weil er wusste, dass sie ihn auch in ihre ließen. Dylan-Konzerte waren keine Show wie jede andere, damals wie heute nicht. Und der rauschende Applaus, mit dem man Joan Baez als Gast begrüßte, dokumentierte noch einmal nachdrücklich: Dieses Kenner-Publikum war gewiss nicht wegen sinnfreien Entertainments gekommen. Protestierte aber auch nicht, als La Baez das Traditional „Silver Dagger“ als „one of Bob Dylan’s earlier songs“ ankündigte. Was der an diesem denkwürdigen Abend anscheinend für immer so verinnerlichte, dass er später das notengetreu der Paul-Brady-Aufnahme nachgesungene „Arthur McBride“ auf „Good As I Been To You“ als Eigenkomposition ausgab.
Keine perfekte Harmonie des Liebespaares bei „Mama, You Been On My Mind“, beim Protestsong „With God On Our Side“ schon mehr, bei „It Ain’t Me, Babe“ dann etwa dieselbe wie zwischen ihm und Emmylou bei „Romance In Durango“. Dann gab’s noch ein begeistert beklatschtes „All I Really Want To Do“ als Zugabe. Kein Protestsong.
Die Zeiten sollten sich danach eh rasch ändern, Dylan von den ihn grenzenlos als ihr „Sprachrohr“ bewundernden und ihnen „gehörenden“ Folk-Puristen als Verräter beschimpft und denunziert werden. Die hatten das Lied, mit dem er auch dieses Konzert begann, nicht wirklich begriffen. Alle Bootlegs davon kann man jetzt getrost einmotten. Hier ist das erstmals komplett und ungekürzt dokumentiert – in mehr als passablem Mastering. mit sehr schönen, auf den Zeitgeist abhebenden Liner Notes und tollem Booklet. Der junge Mann, der bei dem Auftritt noch so gut und zwischen den Songs zu mancherlei Spaßen aufgelegt war, hat sich in den fast 40 Jahren seither sehr geändert. Wie die Zeiten.