The Divine Comedy :: Absent Friends
Brillante orchestrale Popsongs und meisterliche Arrangements
Natürlich war unser Freund Neil Hannon selbst lange Zeit abwesend – wir wähnten ihn schon an seinen unerbittlichen Ansprüchen zerschellt Ausgerechnet die moderne, die zeitgenössische Platte „Regeneration“, eine Wiedergeburt mit Gitarre und möglicherweise beabsichtigten Anleihen bei Radiohead und Coldplay, erwies sich als wahres Debakel: Hatte The Divine Comedy bisher nur in England einige Platten verkauft, so verkauften sie nun auch daheim fast keine mehr!
Der arme Neil Hannon lebt zwar körperlich in diesem Millennium, doch seine Welt ist das 19. Jahrhundert In seinen Songs ist Britannien noch eine Seemacht, Queen Victoria regiert, man fährt auf Segelschiffen und bollert mit Kanonen, man steigt über den Balkon bei der Liebsten ein, trinkt Tee, trägt Kostüm und delektiert sich am Kunstschönen. In dieser Welt spielt ein Orchester den lieben langen Tag (und die Nacht sowieso) alte Stücke von Scott Walker, immerhin ein Künstler des 20. Jahrhunderts, und der Mann von Welt befasst sich mit: Frauen, Trinken, Büchern, Müßiggang, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Vielleicht war „Short Album About Love“ das letzte verkable Hannon-Album, jenes in der Royal Albert Hall aufgeführte Orchesterwerk über Liebe und Triebe. Ignorieren wir also ostentativ die Platten danach und teilen mit, dass „Absent Friends“ an „Casanova“ anschließt, jenen gewitzten, eleganten Reigen von 1996, und an „Promenade“, das frühe Meisterwerk, das „The Booklovers“, „The Summerhouse“ und „Tonight We Fly“ enthält, drei der allergrößten Popsongs (obwohl sie mehr mit Michael Nyman zu tun haben als mit, sagen wir: Blur).
Hannons Genie strahlt in jedem Song dieser staunenswerten Platte, der Songschreiber ist vollkommen bei sich. „Oscar Wilde was a lonely child/ He fought and won acceptance from die world/ They smiled, they laughed, they praised/ They drove poor Oscar to his grave“, bedauert er in „Absent Friends“ und verabschiedet auch Jean Seberg, Steve McQueen und Laika, den ersten Hund im Weltraum. Später gibt es eine wunderbare kleine Hommage an das Tier, „Laika’s Theme“. „Sticks & Stones“ und „Leaving Today“ schlagen den orchestralen Walker-Ton an und übertreffen sogar die Tindersticks an Grandezza, „My Imaginary Friend“ ist eher eine Petitesse im Stil von Ray Davies, „The Wreck Of The Beautiful“ ein wahrhaft unheimliches, jenseitiges Schauerstück mit raunendem Chor und dräuenden Streichern. In „Come Home Billy Bird“ verwendet Hannon jene tschilpende, herzzerreißend naive Frauenstimme, die es zuletzt auch Luke Haines mit Black Box Recorder angetan hatte. Und ja, Hannons Humor ist ebenfalls intakt. Der Autor Hannon liefert hier die glänzendsten Poeme, etwa die Skizze „The Happy Goth“: „Well her clothes are blacker than the blackest cloths/ And her face is whiter than the snows of Hoth/ She wears Dr. Martens and a heavy cross/ But on the inside she’s a Happy Goth.“ Der Komponist Hannon schwelgt in den elaboriertesten Arrangements: Er hat die Leichtigkeit, die Komplexität und das Euphorisierende von Burt Bacharachs Songs erreicht. Mit „Charmed Life“ beschließt unser Freund sein entzückendes, entwaffnendes Werk: „And though there’s been some difficult times/ The good times were never far behind/ I’ve snatched all of my victories from the jaws of defeat“ Wohlan, Sir.