Jolie Holland – Catalpa
„Alley Flowers“, das erste Lied auf dieser durch und durch erstaunlichen Platte, ist ein Spuk: Dumpfe Trommeln und scheinbar planlos klingelnde Glocken vernebeln den Blick auf eine komisch gezupfte Gitarre, und dazu singt die Texanerin Jolie Holland ein entrücktes Lied. Aber wie! Die Anführerin der kurzlebigen Be Good Tanyas versenkt ihre charmant-schläfrige Stimme mit seltsam weltfremden Phrasierungen in einer Geisterfahrt durch das, was man gemeinhin mit den Ursprüngen US-amerikanischer Musik assoziiert Blues, Bluegrass, Carter Family, alles ist angelegt in dieser fünf Minuten langen Seance, die so im Nebel verschwindet wie sie herauskam. Doch Jolie Holland ist nicht bloß eine Americana-Verweserin, sondern holt sich ihre Inspiration gleichwohl bei Syd Barrett und anderen psychedelischen Bahnbrechern. Wie beim fast beschwingten „The Littlest Binds“, bei dem sie eigene Worte mit denen aus Floyds „Jug Band Blues“ verwebt.
Und obwohl „Catalpa“ eigentlich nur für den Bauchladenverkauf bei Konzerten und übers Internet gedacht war und nicht mehr ist als eine Sammlung von Wohnzimmerdemos, meldeten sich im letzten Jahr gleich Leute wie Tom Waits und ROLLING STONE-senior writer Michael Goldberg zu Wort. Und sprachen von der Platte des Jahres, von einem großen Talent, sogar von Bob Dylan, der Band und den „Basement Tapes“. Was all die Lobredner hören, ist wohl die erstaunliche Integrität, mit der Holland archaische mountain music mit einer gar nicht gestrigen Perspektive neu aufbereitet New time old time: spooky american fairytales, nennt Holland das selbst und trifft den Nagel ganz gut auf den Kopf.
Wohin die Fahrt wirklich geht, wird erst das bald erscheinende „richtige“ Debütalbum von Jolie Holland entscheiden. Denn abgesehen von dem beschriebenen Anfangslied ist auf „Catalpa“ nichts produziert; nur gelegentlich erweitern ein Banjo, eine singende Säge oder eine Telecaster den akustischen Vortrag. Dass aber eben das für den Anfang reicht, ist Holland offenbar bewusst: „Some people say I got a psychedelic presence/ Shining in the park with a bioluminescence.“ Kann man sich vorstellen.