Pearl Jam – Lost Dogs :: EPIC/SONY
Solche Hunde sollten wirklich nicht auf Nimmerwiederhören verschwinden. Was sich bei Pearl Jam seit 1991 an Überschuss angesammelt hat, würde auf den Hit-Alben manch anderer Bands immer noch herausragen. Chad Kroeger dürfte „Lost Dop“ zumindest nachdenklich stimmen. Was haben Pearl Jam, was Nickelback, Staind oder Creed fehlt? Vor allem Ambitionen. Sie geben nicht dem einfachsten Einfall nach, sie suchen fast immer die sperrigere Alternative. So werden aus wuchtigen Melodien (die Kroeger, Lewis und Stapp ja auch können) nicht bloß eingängige 08/15-Rocknummern, sondern verwirrend vielschichtige Songs, die einem vielleicht nicht sofort in den Kopf gehen, dafür aber immer noch dort herumschwirren, wenn man sich bei „How You Remind Me“ oder „Open Arms“ nur noch an die schwülstigen Videos erinnert und an sonst nichts.
Die Balladen sind hier wieder einmal die Gewinner, wie so oft bei Pearl Jam. Es muss Eddie Vedders Stimme sein, die dann besonders intensiv strahlt, wenn sie nicht von Gitarren und Schlagzeug untergebuttert wird. Wenn Vedder nicht schreien muss, sondern ganz leise sein kann, ist er so laut wie kein anderer. Bei, fatal“ und „Other Side“ wirkt das so, zwei fast jenseitige, gespenstisch dichte Lieder, bei denen die Band selbst nicht mehr versteht, warum sie auf keinem Album gelandet sind. „Close but no sitar“, wie Ed über „Hold On“ schreibt Dabei hätte „Hard To Imagine“ das laue „Vs“ vielleicht noch retten können. Es beginnt leicht lethargisch, schwillt dann aber immer mehr an, bis zum fast bombastischen Ende ein dynamischer Spannungsbogen wie aus dem Lehrbuch. Worum es geht? Schwer vorstellbar.
Die Linernotes von allen Bandmitgliedern sind oft überraschend, hin und wieder erhellend. Und gelegentlich blitzt ein Witz auf, der alle Lügen straft, die Pearl Jam immer noch für überernste Streber halten. In ihren Herzen sind sie nämlich richtige Rocker, die dauernd über Akkorde schwadronieren und sich um Songs streiten. Wie beruhigend.
Neben vielen Outtakes sind auch ein paar Fanclub-Christmas-Singles dabei, darunter das tatsächlich weihnachtliche „Strängest Tribe“ und die Mundharmonika-Folk-Sause „Drifting“ und ganz am Ende, ohne Vorwarnung und Credit, kommt dann noch ein Lied für einen Freund. Falsche Heldenverehrung, Isolation, Schuld, Vfergebung – viele typische Pearl Jam-Themen kommen vor, und doch trifft einen das Stück so direkt, dass man fast peinlich berührt ist. „4/20/02“ heißt der Song. Eddie Vedder schrieb ihn in der Nacht, als er von Layne Staleys Überdosis erfuhr – und setzte seinem Kollegen ein Denkmal, indem er allen anderen einen Denkzettel verpasste, der sitzen sollte: „So all you fools who sing just like him/ Feel free to do so now/ ‚Cause he is dead…/ So sing just like him, fuckers/It won’t offend him, just me.“