Television – Marquee Moon :: Rhino
Manche Platten bewundert I man ob ihrer schieren Originalität oder des unbezweifelbaren musikalischen Könnens. Andere schätzt man über die Maßen, obwohl sie keine neuen Töne anschlagen, aber als Rückbesinnung auf die besten Traditionen bestimmter Gattungen diese auf ein neues Niveau heben. Wieder andere liebt man sprichwörtlich auf den ersten Blick, ohne genau erklären zu können, warum. Die Debüt-LPs der Byrds, Jimi Hendrix Experience, Littlc Feat, Modiers Of Invention, Jeff Buckley oder Roxy Music waren solche Ur-Erlebnisse.
Die erste LP von Television eher nicht. Zwar fand Nick Kent „Marquee Moon“ so grandios, dass er diesem Debüt im „NME“ eine zwei Seiten lange Hymne widmete. So richtig überzeugt hat er damit viele Leser dann doch nicht. Die angesagten Combos der Stunde waren halt die Sex Pistols und Qash, vielleicht noch die Talking Heads.
Dem hatte das New Yorker Quartett nur die originelle Vision einer ganz anderen Rockmusik entgegenzusetzen. Der Gitarrist war mit den Neon Boys zwar zu einiger örtlicher Prominenz gekommen. Aber nach dem Kollaps dieser Band musste er wieder auf Anfang gehen. Klinken putzen musste er bei diversen Plattenfirmen, bis man beim Elektra-Label dann doch zu der Oberzeugung gelangte, dass er nach den CBGBs-Auftritten das Zeug zum Langspiel-Debüt habe.
Wenige Debüt-Platten haben so viele Missverständnisse provoziert wie die von Television. Art Rock? Ein Unsinn, der dazu führte, dass die Band im Vorprogramm von Genesis auftrat! Punk Rock? Von dessen Drei-Akkord-Ästhetik waren die musikalischen Vorstellungen eines Tom Verlaine Lichtjahre entfernt Man musste nur ein wenig genauer hinhören, dann waren alle an den Haaren herbeigezogenen Vergleiche etwa mit den frühen Velvet Underground obsolet. Das Solo bei „Venus“ oder das Intro zu „Friction“ erinnerten an nichts mehr als an das Debüt des Quicksilver Messenger Service. Es war nicht derselbe Ton, nur dieselbe Attitüde. Tom Verlaine/Richard Lloyd als die legitimen Erben des Gespanns John Gpollina/Gary Duncan und der Titelsong ihr „Gold And Silver“, wenngleich nicht so trippy und auch nicht von dieser notorischen Chemikalie beeinflusst.
Selten klang Gitarrenrock unverbrauchter als bei diesen acht Aufnahmen. Rückblickend bei dieser Remaster-Ausgabe wieder gehört, erinnert manches auch ganz entfernt an frühe Talking Heads. Wieso die Band mit „Adventure“ (2,5) ein ungleich weniger abenteuerlustiges Album folgen ließ, ist ein Rätsel. Was den – auch historischen – Rang des Ersdingswerks um kein Jota schmälert. Jetzt endlich ungekürzt zu hören: die Originalaufnahme von „Little Johnny Jewel“ und exzellente Alternativ-Takes von „See No Evil“ und „Friction“. Vor allem aber die Originalaufnahmen erstmals gänzlich in voller Länge und tollem Remastering.