Spiritualized – Amazing Grace :: Sanctuary
Es gibt Nächte, in denen man sich schwer entscheiden kann: Zusammengerollt den Kummer ins Schwitzelaken maunzen, lieber aulstehen oder beherzt das gute Sonntagsservice zerdeppern? Gut, wenn man dann „Amazing Grace“ zur Hand hat Das fünfte, wundervolle Spiritualized-Soloalbum taugt zu beidem und erspart einem das bei derlei Stimmungsschwankungen Plattenwechseln.
Von einem fiesen Garage-Album munkelte man im Vorfeld. Na! Immerhin steht ein Quietschen am Anfang dieser Antihese zum beschaulichen Erbauungspop des Vorgängers „Lei It Come Down“ von 2001, zu dem festlichen, poüboyblanken Gepräge, das dort ein 100-köpfiges Orchester samt Gospelchor entfaltete wie eine frisch gebügelte Damasttischdecke. Knittriger, ein bisschen kratziger auch ist „Amazing Grace“ geraten.
Spaceman Jason Pierce rockt also. Am schönsten in „She Kissed Me (It Feeled Like A Hit)“, das Phil Spectors „He Hit Me (It Felt Like A Kiss)“ zu einer hartleibigen Variante des alten Spiritualized-Liedes von der Liebe, die doch nur eine Droge ist. Getoppt noch vom wüsten „The Power And The Glory“, in dem sich ein Tröpfelklavier in eine Kakophonie aus rülpsenden Bläsern und wackeligem Schlagzeug hineinsteigert. Dazwischen bläst Pierce auf dem Kamm, singt großartig brüchige, minimalistische Stanzeln: Der Tod kann uns nicht trennen, wenn es das Leben schon geschafft hat, bemerkt er schleppend, um dann mit Sterbebettstimme zu ächzen, dass man im Leben alles schaffen könne, was man nur wolle, theoretisch. Der alte Zossen neben ihm nickt traurig mit dem Kopf, Klingeling und Chorgesang.
Auch wenn das Werk uns verglichen mit den Vorgängeralben weniger erstaunt und ergriffen zurücklässt, besitzt es doch Charme, tröstlich kühl wie die andere Seite des Kissens.