Print-Pop von Frank Schäfer
„Chronik“
(Merve, 6,50Euro)von Roland Barthes ist praktizierte Pop-Philosophie in der Tradition seines Klassikers „Mythen des Alltags“, sprachlich elegant, brillant und immer fröhlich pfeifend auf der Grenze zwischen Poesie und Wissenschaft. Von Dezember 1978 bis März 1979 reflektiert Barthes Woche für Woche im „Nouvel Observateur“ seinen Alltag, „erliest“ er sich seine Welt in kurzen Prosa-Stücken. Und das ist wörtlich zu verstehen. Eine Nachrichtenmeldung, ein Werbeslogan, die Szene eines Films, Sirenengeheul um zwölf, eine Höflichkeitsfloskel – die Welt besteht aus Zeichen, die aus sich selbst heraus nichts bedeuten, sondern nur dadurch, dass ein Kollektiv ihr einen Sinn zuweist. Und den gilt es nun herauszuschälen durch genaue Beobachtung und Beschreibung.
Am Ende analysiert er auch noch, was er da eigentlich gemacht hat all die Wochen, und damit bekommt dieser „Schreibversuch“ auch einen rnedienkritischen überbau: Man müsse immer wieder versuchen, „dem Prestige großer Proportionen zu widerstehen, und so den Eifer der Medien bremsen, das Ereignis selbst zu erzeugen“. Das gehört immer noch allen Kommentatoren, Leitartiklern, Glossisten und nicht zuletzt Musikkritikern ins Stammhirn geritzt. Der ROLLING STONE hat denn auch gleich einen Klassensatz von diesem wunderschönen kleinen Büchlein bestellt. 4,0
„Der nächtliche Lauscher“
Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 15,90 Euro) von Armistead Maupin. Gabriel Noone, Schriftsteller und Schwulenpräzeptor, steckt in einer Krise. Die Liebe seines Lebens sieht sich gerade nach neuen Herausforderungen um, und plötzlich wollen ihm seine sentimentalen, lebensfreundlichen Radiostories aus dem Herzen San Franciscos, die auf Maupins eigene „Stadtgeschichten“ anspielen, nicht mehr so recht von der Hand gehen. Trost findet er allein in nächtlichen Telefonsitzungen mit einem 13-jährigen Fan. Pete hat Unfassbares erlebt, ist von seinen Eltern schon in frühester Kindheit an Päderasten verkauft worden, hat sich dann abgesetzt, seine Eltern vor Gericht gebracht und in Donna, der psychologischen Betreuerin, eine rührend besorgte Adoptivmutter gefunden. Einer aus dem elterlichen Kundenstamm hat ihm Aids angehängt, und es sieht so aus, als müsste er bald daran sterben.
Es sieht allerdings nur so aus, denn realiter ist Pete bloß eine Erfindung der offensichtlich schizophrenen Donna. Gabriel schöpft Verdacht, dann wieder nicht, dann wieder doch… Und irgendwann ist es ihm dann nicht mehr wichtig, weil dieses virtuelle Vater-und-Sohn-Verhältnis zwischen Gabriel und Pete für ihn in jedem Fall existiert hat, nicht zuletzt weil es ihm geholfen hat, die eigene verkorkste Beziehung zu seinem Vater zu verstehen und in Ordnung zu bringen. Subkutan ist dieser Roman also auch eine Meditation über das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit. Für Maupins Alter ego Noone hat die Kunst geradezurücken, was im Leben schiefgelaufen ist.
Und von diesem Standpunkt aus betrachtet beginnt denn auch der mit zwei Fiktionsebenen spielende Schluss des Romans hübsch zu changieren. Eigentlich sind es zwei Schlüsse. Im ersten stirbt Noones Vater, aber auf dem Totenbett, immerhin, sprechen sich die beiden aus, sind so sehr Vater und Sohn, wie ihnen das Zeit ihres Leben nicht gelungen ist. Im zweiten Schluss ruft Noone senior seinen Sohn an, nachdem er die erste Radiofolge des Romans gehört hat (den man gerade gelesen hat), und frotzelt auf die bekannte raue, hemdsärmelige Weise. Und der Leser darf sich nun fragen, inwiefern der Wirklichkeit hier nachgeholfen wurde. Ob der Vater in der Literatur weiterleben darf? Oder ob er erst hier zu einem richtigen Vater geworden ist? 3,5
„Uncool“
(Heyne, 9Euro) von Dan Zevin ist einer dieser Wohlfühl-Lebensratgeber für Menschen, die sich gern bestätigen lassen, dass sie eigentlich doch noch „ganz gut drauf“ sind. Hier geht es um „die Kunst erwachsen zu werden“, und so blättert Zevin die große Straße der Stereotypen hin, die man mit diesem Lebensstadium verbindet, wenn man mal fünf Minuten darüber nachdenkt: Fitnessclub, Hund, Vorgarten, Golf, Putzfrau, Therapie, Midlife-Crisis… Und selbstredend macht er sich ein bisschen lustig darüber, aber das ist dann doch nicht mehr als Koketterie. Denn in Wirklichkeit ist man ja gar kein richtiger Erwachsener, sondern nur ein „widerwilliger“, einer, der es mit Humor nimmt, der auf seinem Weg in die Geriatrie über sich selbst lachen kann. Aber das nun immer wieder zu betonen – cool ist was anderes! 1,0
„Alles von Allen“
(Rowohlt, 9,90Euro) von Woody Allen kompiliert sämtliche „Storys Szenen, Parodien“ und zeigt einmal mehr die bisweilen somnambule Pointensicherheit und nicht zuletzt das stilparodistische Talent dieses Mannes. Am gelungensten sind die Stücke, in denen er Fachleute imitiert und deren so ganz irdische Profession durch zwei, drei oder auch sieben Volten in strahlendsten Irrwitz eintauchen, sie wirklich transzendieren lässt. Augenscheinlich befeuert die fulminante humoristische Begabung Aliens alle Bereiche seiner Kreativität. Wenn er Konditor geworden wäre, dann würden vermutlich noch seine Sahnetörtchen wie auch immer witzig aussehen. 4,0