AFI – Sing The Sorrow :: Motor
Wie schön: Es gibt langsam wieder Rockbands mit Teenager-Appeal aus Amerika, die man als Mensch mit Tischmanieren und Krawattenknoten nicht automatisch bescheuert finden muss. AFI aus Kalifornien sind keine Lebensrettung, aber immerhin die Rückführung des tätowierten Stadion-Rock’n’Roll auf ein diskussionwürdiges Niveau. „Sing The Sorrow“, ihre insgesamt sechste, aber erste Major-Label-Platte, ist sogar ohne Optik, Videos und (obligatorisch stattfindendes) Gehüpf ein gut anhörbares, in Maßen virtuoses und eingängiges Hardrock-Album.
Die besagte Optik macht es erst kaputt Sänger Davey Havok mit bunten Muskeln und dem Kopf, den er einem frisch verstorbenen Slayer-Roadie abmontiert zu haben scheint, ist natürlich der selling point für verwirrte Mädchen, die sich die total guten Texte („As morphine tears through deadened veins I’m numbing in these days“) mit Tuschnadeln in die Handrücken sticken sollen. Gruft-Gegurre wie von HIM-Mann Ville Valo oder Marilyn Manson gibt es bei AFI derweil nicht zu ertragen, obwohl Produzent Butch Vig ihnen zum Einstieg ein paar Horrorgeräusche und schreiende Geister hineingemischt hat schon das zweite Stück „The Leaving Song Pt. II“ fallt auf die typischen California-Punk-Harmonien zurück, die ja auch die Kadenzen des melodischen Metal waren und sind. Daran erinnert spätestens die einsaitige Iron Maiden-Gitarre, die nach 30 Sekunden kommt.
Vom Hardcore, den sie einst angeblich gespielt haben, sind nur ein paar komplizierte Breaks übrig. So zeigen AFI den Verlorenen, dass sie auch über weite Bühnengräben hinweg fest an ihrer Seite stehen, während sie den hinteren Zipfel des US-Konsens-Punk dem arg vernachlässigten Metal zärtlich in den Mund schieben. Es klingt absurd: die amerikanischen Ärzte, circa „Geschwisterliche“.